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Eiskalter Sommer

Eiskalter Sommer

Titel: Eiskalter Sommer
Autoren: Wolf S. Dietrich
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für die Katz.
    Und das Schlimmste war – seine Kolleginnen und Kollegen würden in ihm den Verräter sehen. Sie würden glauben, dass er sie verkauft habe. Gegen einen guten Job in der CuxFrost. Aus seiner Bewerbung um die neu geschaffene Stelle eines Logistic Managers hatte er kein Geheimnis gemacht. Jeder in der CuxFrisch wusste, dass er der aussichtsreichste Bewerber war. Zumal er die Arbeit schon längst übernommen hatte. Während seine Kollegen auf die Straße gesetzt wurden, fiel er die Treppe hinauf.
    Dabei hatten sie einen Sanierungsplan ausgearbeitet. Er als Arbeitnehmervertreter im Betriebsrat, Inhaber Behrendsen, sein Chef und zwei Leute von der Bank. Die Arbeitsabläufe sollten gestrafft und die Taktzahlen erhöht werden. Aber alle sollten weiterbeschäftigt werden. Wenn auch zu niedrigeren Löhnen. Und das sollte plötzlich nichts mehr gelten?
    Evers griff zum Telefonhörer, zögerte, legte wieder auf. Wen sollte er anrufen? Die Bankleute waren zu dieser Zeit noch nicht zu sprechen. Oder sie würden sich verleugnen lassen. Sein Chef würde ihm raten, ein paar Tage Urlaub zu nehmen und abzutauchen. Im Gewerkschaftsbüro würde er jetzt auch niemanden erreichen.
    Er fuhr zusammen, als das Telefon schrillte. Wer wollte um diese Zeit ...? Natürlich. Auch andere hatten Nachrichten gehört. Ein Kollege, der eine Erklärung verlangte? Unentschlossen starrte er auf den Apparat. Schließlich schaltete sich sein Anrufbeantworter ein. „Bitte hinterlassen Sie Ihre Nachricht nach dem Signalton.“
    „Hallo, Herr Evers. Hier ist Felix Dorn von den Cuxhavener Nachrichten. Wenn Sie mich hören, sollten Sie sich melden.“
    Unbewusst schüttelte er den Kopf. Die Presseleute müssen warten. Zuerst muss ich mit den Kollegen sprechen. Wahrscheinlich ist in den nächsten Stunden in der Firma der Teufel los .

    *

    Am Werkstor hatte sich eine Gruppe von Menschen in der blau-weißen Arbeitskleidung der CuxFrisch versammelt. Evers wusste, was die Kolleginnen und Kollegen vorhatten. Sie würden die Einfahrt blockieren. Für Manager und Lieferfahrzeuge. Er selbst hatte diese Art, Druck auszuüben, vor Jahren während eines Arbeitskampfes eingeführt. Aber jetzt würde diese Maßnahme wohl nichts nützen.
    Die meisten kannten seinen Wagen. Würden sie ihn durchlassen? Er ließ die Seitenscheibe herunter und streckte den Kopf durch das Fenster während er auf die Menschen zurollte. Einige strebten zur Seite, um ihn passieren zu lassen. Aber dann schrie eine Frauenstimme: „Das ist doch Evers! Na, der traut sich was!“
    Sofort schlossen sich die Kollegen zu einer Mauer zusammen. Evers hielt an, sah in die Gesichter, in denen er Wut und Verzweiflung, Angst und Enttäuschung las. Sie wussten, was sie erwartete. Zwölf Monate Arbeitslosengeld und anschließend Hartz vier. Die meisten hatten Kinder, mussten Hypotheken abtragen und Raten für Anschaffungen bezahlen. Besonders bitter waren die Aussichten für die portugiesischen, spanischen und türkischen Kollegen. Sie würden in Cuxhaven wohl keine Arbeit mehr finden.
    Einer der Arbeiter stemmte seine schwieligen Hände auf den Fensterrahmen. Carlos Rodriguez war schon über dreißig Jahre in der Firma – länger als Evers. „Mann“, knurrte der Portugiese, „hier geht gleich was los. Die Kollegen sind total von der Rolle. Besser, du verschwindest.“
    Evers schüttelte den Kopf und sah dem Mann in die Augen. „Sie haben uns reingelegt, Carlos. Ich weiß selbst nichts. Habe gerade erst in den Nachrichten ...“
    Ein rotgesichtiger Arbeiter drängte Rodriguez beiseite und riss die Wagentür auf. Hannes Fedder – auch er war an die dreißig Jahre bei der CuxFrisch. „Du hast uns verschaukelt, Mann.“ Er packte Evers am Kragen und zerrte ihn aus dem Wagen. „Aus dir machen wir Fischfutter.“
    Die Situation drohte zu eskalieren. Irgendwie musste Evers die aufgestaute Wut kanalisieren. Er hob die Hände. „Lasst mich doch erst mal zu Wort kommen!“
    „Dein Gequatsche kannste dir sparen“, zischte Fedder. „Ihr habt genug geredet. Jetzt wird gehandelt.“ Er hob die Stimme. „Dreißig Jahre haben wir für die Firma geknüppelt, und jetzt wollen sie uns auf die Straße setzen. Das lassen wir uns nicht gefallen!“
    „Was willst du machen, Hannes?“ Evers war jetzt auch laut geworden. „Alles kaputt schlagen? Wenn wir nur Krach machen und uns gegenseitig in die Pfanne hauen, stehen wir morgen wirklich auf der Straße. Wenn wir aber die Banken überzeugen wollen,
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