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Eiskalter Sommer

Eiskalter Sommer

Titel: Eiskalter Sommer
Autoren: Wolf S. Dietrich
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mehr als „Schnittlauch – außen grün und innen hohl“ bezeichnen können. Marie dagegen war froh, keine Uniform mehr tragen zu müssen, denn auch die neue Farbe gefiel ihr nicht. Sie erschien ihr eher schwarz als blau, und die Kollegen wirkten darin wie schwarze Sheriffs eines Sicherheitsunternehmens.
    Der Türöffner summte, und sie beeilte sich, Flure und Treppenhaus rasch hinter sich zu bringen. Hier müsste auch mal gründlich gelüftet werden . Aber anscheinend stört die schlechte Luft niemanden außer mir.
    Wie sie erwartet hatte, war Hauptkommissar Röverkamp noch nicht im Büro. Marie öffnete alle Fenster und ließ sich zuerst auf Röverkamps Sessel fallen, um die Beschriftung der Akten zu studieren, die auf seinem Schreibtisch lagen. Ihr Chef blieb abends oft länger und befasste sich mit den Akten ungelöster Fälle. Obenauf lag der schmale Ordner mit dem Fall des Toten, den die Kollegen von der Wasserschutzpolizei vor einiger Zeit mitsamt seinem Kleinwagen aus dem Hafenbecken gezogen hatten. Alles deutete auf eine Selbsttötung hin, aber Röverkamp hatte noch immer Zweifel.
    Marie erhob sich, durchquerte den Raum, nahm die Blumengießkanne aus einem der Schränke und füllte sie am Wasserhahn über dem Waschbecken. Sorgfältig versorgte sie die Grünpflanzen mit frischem Wasser. Seit sie Hauptkommissar Röverkamp zugeteilt worden war, hatte sie die kahlen Wände des gemeinsamen Büros durch großformatige Fotos und Poster mit maritimen Motiven verschönt, die angeschlagenen Kaffeebecher durch neue Tassen ersetzt und Topfpflanzen in die Fensterbänke gestellt. Röverkamp hatte ihre Bemühungen um etwas mehr Wohnlichkeit kommentarlos beobachtet. Eine Zeit lang hatte sie sogar das Gefühl gehabt, dass er überhaupt nichts bemerkte. Doch dann hatte er sie mit der Äußerung überrascht, sie sei wohl so etwas wie eine gute Fee. Und sie zum Essen eingeladen. Ganz nobel – ins Hotel Sternhagen in Duhnen. Bei der Gelegenheit hatte sie dann auch endlich etwas mehr über ihn erfahren. Wie er seine Frau verloren hatte, wie er unter der äußeren und inneren Entfernung zu seiner Tochter litt und warum er sich zuerst gesträubt hatte, mit einer Anfängerin wie ihr zusammenzuarbeiten.
    Das Telefon unterbrach ihren Gedankenfluss. Auf dem Display erkannte sie den Anrufer. Sie nahm ab. „Guten Morgen, Konrad. Kommst du nicht ins Büro?“
    „Ich muss erst ins Krankenhaus. Amelie ist gestern Abend gestürzt und war einige Zeit bewusstlos. Ich will wissen, wie es ihr geht. Außerdem hat sie hier keine Angehörigen, und irgendjemand muss sich um sie kümmern. Oder gibt es etwas, das meine Anwesenheit erfordert?“
    Marie schüttelte unbewusst den Kopf. „Nein. Hier liegt nichts vor. Und falls etwas sein sollte ...“
    „... kannst du mich übers Handy erreichen. Bitte ruf mich an, wenn wir einen Fall auf den Tisch bekommen sollten. Bis nachher.“
    Nachdenklich legte Marie den Hörer auf. Sie sah Amelie Karstens vor sich. Wie die alte Dame in leicht gebeugter Haltung durch ihre weitläufige Wohnung wuselte, um ihren Mieter Konrad Röverkamp zu versorgen. Die Kapitänswitwe war weit über siebzig, aber voller Energie und Tatendrang. Beides verschwendete sie an den Hauptkommissar, den sie auf ihre Art adoptiert zu haben schien. Sie sorgte sich um sein leibliches Wohl, achtete darauf, dass er sich warm genug anzog und hielt stets ein kühles Bier und einen Aquavit für ihn bereit. Vor einem Jahr hatte Röverkamp ausziehen und sich eine eigene Wohnung nehmen wollen. Doch dann hatte seine Wirtin ihn mit einem weiteren Zimmer bei gleicher Miete geködert. Vielleicht auch mit Bratkartoffeln und Matjes. Und mit ihrem gut gefüllten Kühlschrank.
    Hoffentlich ist ihr nichts Ernstes passiert.

    *

    Der Klinikpförtner blickte über seine Brille hinweg zu ihm auf, wiederholte: „Karstens, Amelie ... mit K, sagten Sie. Das haben wir gleich“, er tippte den Namen in eine Computertastatur. Dann suchte er in der Tabelle auf dem Bildschirm, wobei er einen Zeigefinger zu Hilfe nahm. Der Finger fuhr die Liste entlang, stoppte, glitt vor und zurück, stach dann in die Luft.
    „Zimmer 206. Zweiter Stock links.“
    Während Röverkamp etwas kurzatmig die Stufen erklomm, nahm er in Gedanken den Dialog mit Amelie Karstens vorweg. „Na, Frau Karstens, wie sieht’s aus? Bleiben Sie noch ein paar Tage hier, oder kommen Sie gleich mit?“ Und sie würde antworten: „Ach, Herr Kommissar, sie lassen mich ja nicht, sonst wär’ ich
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