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Eiskalter Sommer

Eiskalter Sommer

Titel: Eiskalter Sommer
Autoren: Wolf S. Dietrich
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noch in die richtige Richtung. Ich sehe jedenfalls überhaupt nichts.“
    „Er hat recht, Sven.“ Hendrik war ebenfalls stehen geblieben. „Wenn wir falsch gelaufen sind, stecken wir ganz schön in der Scheiße.“ Er trat auf der Stelle und hauchte in seine rot gefrorenen Finger „Ich weiß nicht, wie lange ich diese Kälte noch aushalte. Der Wind ist ziemlich heftig geworden.“
    „Wir sind bald da.“ Sven versuchte, gelassen zu klingen. „Es kann sich nur noch um Minuten handeln. Selbst wenn wir den Hof verfehlen – irgendwann stoßen wir auf den Weg, der uns hinführt.“
    „Dein Wort in Gottes Gehörgang. Oder wer auch immer für dieses Scheißwetter verantwortlich ist.“ Jan stapfte voran. „Mir wird kalt, wenn wir hier rumstehen. Lasst uns weitergehen.“
    Niemand widersprach. Stumm folgten ihm die Freunde, stemmten sich gegen den Sturm und verdrängten die aufkommende Unsicherheit, jeder so gut er konnte. Irgendwann blieb Jan wieder stehen. Sven und Hendrik, die den Blick auf seine Fußstapfen geheftet hatten und seiner Spur folgten, liefen auf.
    „Was’n los?“ Sven stieß seinen Vordermann in den Rücken. „Kannste nich’ mehr?“
    „Hab’ kein’ Bock mehr, vorne zu gehen. Übernimm du die Führung. Du kennst dich ja hier so gut aus.“
    „Ich weiß ja auch nicht ...“ Sven sah sich um und hob die Schultern.
    „Ach ja? Wer wollte den unbedingt auf diese blödsinnige Querfeldein-Rallye?“, höhnte Hendrik und hob die Stimme. „Ich kenne mich hier aus. In spätestens einer halben Stunde sitzen wir in der warmen Stube. – Dass ich nicht lache!“
    „Fangt jetzt nicht an zu streiten, Leute!“ Jan schnäuzte sich geräuschvoll. „Lasst uns lieber überlegen, ob wir umkehren. Den Rückweg finden wir leichter. Während er sein Taschentuch einsteckte und aus den Tiefen seiner Parkataschen eine Taschenlampe zog, wandte er sich um. „Brauchen bloß unseren Fußspuren ...“ Stumm starrten die Freunde in den Lichtkegel. Dort, wo er endete, endeten auch ihre Spuren. Wind und Schnee hatten sie schon verwischt.
    „Also weiter.“ Jan verstaute seine Taschenlampe, drehte sich um und stapfte voran. Seine Aufforderung schien er vergessen zu haben. Achselzuckend folgte ihm Sven. Hendrik beeilte sich, den Anschluss zu halten.

    *

    In der guten Stube des bäuerlichen Wohnhauses herrschte behagliche Wärme. Das bäuerliche Anwesen der Familie Clasen gehörte zu den Betrieben, die in den sechziger Jahren aus den beengten Verhältnissen des Dorfes ausgesiedelt und auf freiem Feld neu angelegt worden waren. Claas Clasen hatte sich allerdings nicht darauf einlassen wollen, in eines der modernen stillosen Häuser ziehen, sondern hatte das neue Gehöft mit einem reetgedeckten Fachwerkhaus versehen. Das war zwar deutlich teurer gekommen, aber Clasen hatte ertragreich gewirtschaftet und verdiente noch immer gutes Geld. Und damit es im Wohnhaus nicht nach Stall roch, hatte er es ein wenig abseits von den Wirtschaftsgebäuden bauen lassen.
    Dass seine Kinder von Landwirtschaft nichts wissen und keines von ihnen in den Hof übernehmen wollte, war das einzige bedeutende Ärgernis im Leben des Landwirts. Und die neue Autobahn. Man hatte die Trasse für die schnelle Verbindung von Bremerhaven nach Cuxhaven so dicht an seinem Grund und Boden vorbeigeführt, dass man bei Westwind den Verkehr als beständiges Rauschen vernahm.
    An diesem Abend war davon jedoch nichts zu hören. Andauernder Schneefall hatte dafür gesorgt, dass das Land von einer Schneedecke überzogen worden war, die alle Geräusche dämpfte, und dass der Verkehr nur langsam rollte. Wenn überhaupt. Der Gedanke, dass die Autobahnraser von der Natur ausgebremst wurden, erheiterte Claas Clasen.
    Sein wöchentlicher Skatabend würde jedenfalls unter der Witterung nicht leiden. Den Weg bis zur Landstraße hatte er selbst mit dem Hanomag geräumt. Und dabei hatte er auf der Straße zum Dorf den Schneepflug gesehen. Seine drei Mitspieler würden also keine ernsthaften Hindernisse vorfinden. Zufrieden kontrollierte Clasen die Biervorräte und den Doppelkorn und erinnerte seine Tochter daran, dass die Skatrunde für Bier und Schnaps eine gute Grundlage brauchte. Aber Susanne hatte mitgedacht und bereits begonnen, Wurst und Gehacktes, Soleier und saure Gurken für den Abend vorzubereiten.
    Insgeheim genoss Clasen die Vorstellung, wie Susanne seine Skatbrüder beeindrucken würde. Sie hatten sie lange nicht gesehen, weil sie ein Internat besucht und nach
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