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Eiskalter Sommer

Eiskalter Sommer

Titel: Eiskalter Sommer
Autoren: Wolf S. Dietrich
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müssen wir ihnen etwas anbieten. Und das können wir nur gemeinsam.“
    „Lasst ihn reden“, rief jemand aus der Menge. „Ja, er soll reden“, bestätigte ein anderer.
    „Jetzt muss dir aber was Überzeugendes einfallen“, raunte Rodriguez, während der Rotgesichtige den Kopf schüttelte. „Der verarscht uns doch wieder.“ Aber er ließ seinen Kollegen los. Fieberhaft suchte Evers in seinem Kopf nach einer Idee.

    *

    An warmen Tagen nahm Marie Janssen nicht den Bus, sondern fuhr mit dem Motorroller zum Dienst. Ihr Weg von Groden zur Dienststelle in der Werner-Kammann-Straße führte sie durch die Neufelder Straße. Damit entging sie den morgendlichen Staus und Abgasen zwischen Grodener Chaussee und Konrad-Adenauer-Allee. Und sie konnte statt der Benzin- und Dieselschwaden ein wenig Hafenluft schnuppern. Wenn die Lücken zwischen Fabrik- und Lagerhallen den Blick freigaben auf die Schiffe im Neuen Fischereihafen oder auf ein Stück Nordsee, spürte Marie die Nähe des Meeres, und die Gerüche und Geräusche des Hafens vermittelten ihr das Gefühl, zu Hause zu sein.
    Sie war froh, dass sie nach der Ausbildung eine Stelle in Cuxhaven bekommen hatte und so in ihre Heimatstadt zurückkehren konnte. Zum Leidwesen ihrer Mutter war sie jedoch nicht in ihr Elternhaus nach Otterndorf zurückgekehrt. In der Freiherr-vom-Stein-Straße in Groden hatte sie eine gemütliche Dachwohnung gefunden, in der sie sich wohlfühlte.
    Von ihren Freundinnen aus der Schulzeit lebten die meisten nicht mehr in der Stadt. Aber sie hatte neue Freunde gefunden, mit denen sie sich an einem der Badestrände in Döse, Duhnen oder Sahlenburg traf oder Radtouren durch das Land Hadeln oder ins Wurster Land unternahm.
    An diesem Morgen entdeckte sie kurz vor dem Fischmarkt an einem der Werkstore eine Ansammlung von Menschen. Rufe wehten zu ihr herüber, in der Menge entstand Bewegung, ein blauer Golf wurde von der Menge gestoppt, der Fahrer aus dem Wagen gezerrt. Menschen riefen durcheinander. Sie konnte nichts verstehen, aber es klang nach Streit. Marie stellte ihren Roller ab, tastete nach dem Handy und lief auf die Gruppe zu. Dabei drückte sie die Kurzwahl-Taste für die Zentrale. Gerade als sie sich dem Tumult näherte, setzte sich der Golf wieder in Bewegung. Die Menschen in blau-weißer Arbeitskleidung strebten zu einem Gebäude auf dem Werksgelände. Aus Maries Handy quäkte eine Stimme. „Was ist denn jetzt, Kollegin?“
    „Hat sich erledigt,“ antwortete sie und klappte das Mobiltelefon zu.
    Als sie zu ihrem Roller zurückkehrte, entdeckte sie auf der gegenüberliegenden Straßenseite einen Mann in dunkler Motorradkleidung, der an seiner Maschine lehnte und trotz der Wärme den Helm nicht abgenommen hatte. Der muss ja ganz schön schwitzen. Wegen der Hitze, die seit Tagen herrschte, trug Marie auf dem Roller nur Jeans und T-Shirt, selbst am frühen Morgen.
    Während sie gemächlich weiterrollte, beobachtete sie, wie in der Niedersachsenstraße die ersten Fischläden geöffnet wurden. Beim Anblick der gelben Strandkörbe vor Ditzers Fischrestaurant befiel sie noch immer die unangenehme Erinnerung an den ehemaligen Kollegen, der sie dort angesprochen und sich mit ihr verabredet hatte. Die Begegnung hätte fast in einer Katastrophe geendet. Seitdem hatte sie sich noch nicht wieder mit einem Mann eingelassen.
    Der kleine Umweg über die Zollkaje erlaubte ihr einen kurzen Blick hinüber zur Alten Liebe. Das Dach des roten Turmes nebenan, der seltsamerweise „Hamburger Leuchtturm“ hieß, obwohl er ein Wahrzeichen der Stadt war, strahlte hell in der Morgensonne. Ein schrilles Hupen riss sie aus ihrer Betrachtung. Sie hatte nicht auf den Verkehr geachtet und wäre beinahe einem eiligen Sportwagenfahrer in die Quere gekommen. Den Rest des Weges bemühte sie sich um etwas mehr Konzentration ...
    Die Polizeiinspektion Cuxhaven/Wesermarsch war in einem Gebäude aus roten Ziegelsteinen untergebracht, das den Charme der Siebziger-Jahre-Architektur ausstahlte. Auf dem Parkplatz neben dem Haus stellte sie ihren Roller ab und sah auf die Uhr. Wahrscheinlich bin ich wieder die Erste im Büro.
    Im Eingangsbereich vor der Wache empfing sie der übliche Mief aus abgestandener Luft, billigen Reinigungsmitteln und kaltem Rauch. Marie winkte den Kollegen hinter dem Fenster zu. Sie trugen noch die grünen Jacken und senfgelbe Hemden. Bald würden eine andere Dienstkleidung bekommen. Wahrscheinlich war ihnen das sogar recht, denn dann würde man sie nicht
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