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Eiskalte Versuche

Eiskalte Versuche

Titel: Eiskalte Versuche
Autoren: McCall Dinah
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war ebenso groß wie die Angst, es nicht zu tun. Bevor er sich bewegen konnte, kam von rechts ein Mann aus einem engen Häuserdurchgang auf ihn zu. Er sagte etwas. Erst jetzt begriff Frank, dass der Mann russisch mit ihm sprach.
    „Entschuldigen Sie bitte“, entgegnete er und spielte den Ahnungslosen. „Meinen Sie mich?“
    Die Antwort kam in makellosem Englisch.
    „Haben Sie etwas anderes geglaubt, alter Mann?“
    Wasili Rostow trat ins Licht, und Frank Walton erschauerte. Er wusste nicht, wer der Bursche war, aber er kannte die Sorte. Den kalten, leidenschaftslosen Blick hatte er in jungen Jahren oft genug gesehen, um zu wissen, wo er den Mann einordnen musste, der ihn jetzt musterte. Mit dem Begreifen kam die Erkenntnis, dass sie ihn gefunden hatten – nach all diesen Jahren, da er beinahe am Ende seines Lebens stand.
    „Ich glaube, Sie verwechseln mich“, murmelte Frank und ging weiter. Nach drei Schritten packte der Kerl seinen Arm.
    „Ich irre mich nicht“, sagte Rostow, wieder auf Russisch. „Wir unterhalten uns jetzt.“
    Bevor Frank um Hilfe rufen konnte, hatte der Mann ihm ein Messer an die Kehle gesetzt und ihn gewaltsam in den dunklen Häuserdurchgang gezerrt, aus dem er gekommen war. Noch immer auf Russisch, befahl er Frank mit scharfer unterdrückter Stimme, sich still zu verhalten, und drückte die Klinge fester gegen seinen Hals.
    Eine plötzliche stechende Empfindung genügte Frank, um zu wissen, dass der Mann seine Haut geritzt hatte und Blut austrat. Die Angst ließ ihn augenblicklich verstummen, dann stieg Zorn in ihm hoch. Er mochte alt sein und dem Tod geweiht, aber bedrohen ließ er sich nicht – heute ebenso wenig wie damals und auch nicht von Gestalten der Sorte, zu der sein Angreifer gehörte.
    „Ich weiß, wer Sie sind“, sagte der Mann.
    Frank antwortete auf Englisch: „Keine Ahnung, wovon Sie reden.“
    Das stechende Gefühl an seiner Kehle steigerte sich zu Schmerz.
    „Lügen hat keinen Sinn, Alter. Ich kenne Sie aus Minsk. Damals hatte ich den Auftrag, Sie während eines Symposiums für Mediziner zu überwachen. Sie stammen aus Georgien und haben in Moskau studiert. 1969 wurden Sie für den Nobelpreis vorgeschlagen, und 1970 kamen Sie angeblich bei einem Flugzeugabsturz über den südöstlichen Küstengewässern der Vereinigten Staaten von Amerika ums Leben.“
    Frank unterdrückte ein Stöhnen. Er konnte sich nicht erklären, wie es zu seiner Entdeckung gekommen war, aber die Verantwortung trug nur er selbst. Jemand musste ihn erkannt haben. Er war nach Brighton Beach gereist, um sich an seine Herkunft zu erinnern, und hatte damit das Kartenhaus zum Einsturz gebracht, das seine Existenz gewesen war.
    „Was wollen Sie?“ fragte er. „Ich habe Geld. Nehmen Sie meine Brieftasche. Sie steckt im Innenfutter meiner Jacke.“
    Rostow fluchte. „Ich will nicht Ihre Dollars, Alter. Ich will die Wahrheit.“
    Frank kniff die Augen zusammen. Dieses Mal hatte der Mann englisch gesprochen. Kaufte er ihm seine Geschichte mittlerweile ab, oder spielte er nur Katz und Maus mit ihm?
    „Ich weiß nicht, von welcher Wahrheit Sie sprechen“, sagte er. „Nehmen Sie mein Geld und lassen Sie mich gehen. Ich will keinen Ärger.“
    In diesem Moment raste ein Auto an der Sackgasse vorbei. Gleichzeitig war Sirenengeheul zu hören, das rasch näher kam. Rostow verstärkte seinen Griff.
    Der Mann wird nervös, bemerkte Frank. Höchstwahrscheinlich waren die Cops hinter jemand anderem her, doch vielleicht konnte er die Situation für sich ausnutzen.
    „Die Polizei kommt“, behauptete er. „Man hat gesehen, wie Sie mich in diesen Häuserdurchgang gezerrt haben. Lassen Sie mich gehen. Ich werde nichts verraten. Ich bin ein alter Mann und froh, wenn ich meine Ruhe habe.“
    „Mit Ihrer Ruhe ist es vorbei“, sagte Rostow. „Spätestens wenn wir in Moskau sind. Dann können Sie reden, so viel Sie wollen … bei meinen Vorgesetzten.“
    Aus dem Augenwinkel bekam Frank mit, wie der Mann eine Hand in die Jackentasche schob. Er wusste, was jetzt kam. In der Tasche befand sich eine Injektionsnadel mit einer Droge, die ihn bewusstlos machen würde. Die Entscheidung zu treffen kostete ihn nur einen Moment. Ja, er hatte die Heimat vor seinem Tod noch einmal sehen wollen, aber nicht auf diese Art. Dass er sterben würde, stand fest. Ob es früher oder später geschah, spielte keine Rolle mehr.
    Bevor Rostow begriff, was passierte, war Frank Waltons Hand hochgeschnellt, und der alte Mann hatte ihm mit
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