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Eiskalte Hand

Eiskalte Hand

Titel: Eiskalte Hand
Autoren: Claudia Muther
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ihn? Kannte sie ihn wirklich? Urplötzlich wurde es gleißend hell. Der Raum schien wie in Feuer getaucht. Sie spürte Panik. Schreie ertönten. Lärm. Dinge stürzten zu Boden. Menschen rannten schnell umher. Dann war der Blick wieder frei. Der Raum unverändert. Nur der Riese war weg. Jetzt hatte sie plötzlich Angst. Furchtbare Angst. Wo war er hin? ‚Bleib hier!‘, flüsterte eine Stimme. ‚Geh nicht!‘
     
    Dieser zweite Tagtraum hatte Mia noch mehr durcheinander gebracht als der erste. Mit meditativen Übungen, die sie in ihrer Ausbildung gelernt hatte, versuchte sie, die aufkommenden Gedanken beiseite zu schieben. Sie wusste, dass es keinen Sinn machte, darüber zu spekulieren. Aber es gelang ihr einfach nicht, sich zu konzentrieren. Sie öffnete das Fenster und beobachtete die Sonne, die hoch am Himmel stand, sog den Duft der Stadt tief in sich hinein. Zwei Frauen in blauen Kimonos liefen laut lachend die Straße hinunter. Mia hielt die Fröhlichkeit und die Ruhe der Stadt nur schwer aus. Damit die Zeit etwas schneller verging, setzte sie sich hin und polierte ihre Dolche und Kurzschwerter, bis sie sich darin spiegeln konnte. Ob sie nun wollte oder nicht – sie musste auf den Abend und den ominösen Boten warten.
     
    Schließlich stand die Sonne nur noch knapp über dem Horizont. Mia hatte eine dunkle Hose und eine blaue Tunika angezogen, ein paar Dolche und Wurfsterne an den richtigen Stellen verstaut. Sie fand es praktisch, dass es in Quandala gerade Mode war, dass Frauen Hosen trugen. Damit bewegte sie sich besser, als mit den langen Kimonos und keiner schaute sie neugierig an. Über all das warf sie einen weiten dunklen Mantel mit einer Kapuze, die ihr Gesicht in einen nützlichen Schatten tauchte. So fiel sie kaum auf. Niemand würde sich an sie erinnern.
     
    Eben als die Sonne unterging, betrat sie den Stadtpark. Er war eines der Juwelen von Quandala. Pflanzen aus ganz Mondoria waren hier zusammengetragen und angepflanzt worden. Mit großer Gartenbaukunst und ein wenig Magie wuchsen so Pflanzen der unterschiedlichsten Klimazonen auf engstem Raum. Riesige Wig-Bäume aus den Barbaren-Wäldern weit im Westen standen mit ihren peitschenartigen Ästen direkt neben schillernden Sträuchern der Napp-Beere, die im kargen Nordland wuchsen und so köstliche Früchte hervorbrachten. Dazu Tropenhölzer weit aus dem Süden. Alles war kunstvoll angelegt – ein wahrer Genuss nicht nur für das Auge, sondern auch für die Nase; denn zahllose Gerüche vermischten sich zu einem ganz besonderen Aroma, das es in dieser Zusammenstellung nur hier auf der Welt gab.
     
    Mia ging häufig in den Park. An diesem Ort konnte sie Ruhe finden und abschalten. Immer wieder betrachtete sie fasziniert die wundersam und wunderbar geformten Pflanzen, die Kompositionen, die Blüten und Früchte. Ständig entdeckte sie etwas Neues. Mal waren es die Blutlilien, deren Blätter von glitschigen grauen Raupen halbiert wurden. Mal ein Muster in der Rinde der Wig-Bäume, das sie an fremde Berglandschaften erinnerten. Eine besondere Attraktion zu dieser Jahreszeit stellten drei dicht bewachsene Pavillons da. Goldregen aus den Elfenreichen im Süden hatte mit seinen kräftigen Zweigen die filigranen Gebilde umrankt und durchwachsen und hing erstrahlte nun über und über mit Blüten bedeckt. Im Gegensatz zum einfachen Goldregen, der sonst auch in Quandala wuchs, leuchteten die elfischen Blüten golden. Besonders in bewölkten Nächten sah man die kostbaren Blüten schon von weitem. Wie reich und vielfältig war doch diese Welt. Und es drängte Mia, mehr davon zu sehen und zu erleben. Kaiser Pi Dang hatte den Park vor gut 200 Jahren anlegen lassen. Er wollte auf diese Weise die Macht und Überlegenheit Quandalas demonstrieren. Die ganze Welt vereinte sich in diesem Garten. Und er herrschte darüber. Tragisch nur, dass gerade dieser Pi Dang am Gift einer fremden Pflanze starb, die von einer der zahlreichen Expeditionen für seinen Garten herbeigeschafft worden war. Mia grinste. ‚Alter Narr!‘
     
    Aus der Ferne konnte sie jetzt das Monument erkennen, das Pi Dang darstellte. Es zeigte einen jungen, gutaussehenden und muskulös gebauten Mann. Mit emporgerecktem Zepter stand er – rund acht Meter hoch – da und blickte stolz nach oben. Unter der Hand erzählte man sich, dass der alte Pi Dang eher zur Fettleibigkeit geneigt hatte und auch nicht unbedingt ein Schönling gewesen sei. Aber so war sie halt: die künstlerische Freiheit. Inzwischen
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