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Eiskalte Hand

Eiskalte Hand

Titel: Eiskalte Hand
Autoren: Claudia Muther
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kleine Truhe daneben – der Tisch, die Stühle – der Ofen, auf dem sie sich von Zeit zu Zeit etwas kochte. Moment! Ruckartig heftete sie ihren Blick wieder auf den Tisch. Neben dem Leuchter mit der halb abgebrannten Kerze lag ein großer Umschlag. Der hatte vorher definitiv nicht dort gelegen. Jemand war in ihre Wohnung eingedrungen. „So eine…“, presste sie zwischen den Lippen hervor und brach noch mitten im Satz wieder ab. Mit aller Kraft unterdrückte Mia den Zorn, der in ihr hochkochen wollte. Zorn war kein guter Berater. Vorsichtig, Schritt für Schritt ging sie durch die Wohnung – immer bereit, einen potenziellen Angreifer abzuwehren. ‚Komm nur her, du wirst schon sehen, was du davon hast.‘ Ein Blick hinter das Bett. Den Kleiderschrank aufgerissen. Ja, selbst in die Truhe schaute sie, obwohl sich dort nicht einmal ein Zwerg hätte verstecken können. In der Wohnung hielt sich keiner mehr auf. Kein Eindringling. Allmählich entspannten sich Mias Muskeln. ‚Warum dringt jemand hier ein und legt einen Umschlag auf den Tisch?‘ Ihre Auftraggeber kontaktierten sie auf andere Weise. Niemand kannte ihren Wohnsitz. Und das sollte auch so bleiben. „Verdammte Scheiße!“, stieß sie nun doch durch die zusammengebissenen Zähne hervor – und ärgerte sich noch im gleichen Moment darüber, dass sie sich ärgerte.
     
    Inzwischen stand Mia unmittelbar vor dem Tisch. Wachstropfen waren im Laufe der Zeit darauf getropft und bildeten nun bizarre weiße Muster auf dem dunklen Holz. Eine Weile fixierte sie den Umschlag. Was mochte sich darin befinden? War ihr irgendjemand auf die Schliche gekommen? Handelte es sich vielleicht um eine Falle? Unwahrscheinlich. Wenn ihr jemand an den Kragen wollte, dann gäbe es einfachere und sicherere Möglichkeiten. Sie atmete tief durch, dann griff sie nach dem Briefumschlag und riss ihn kurzer Hand auf. Neugierig schaute sie hinein. Der Umschlag enthielt ein einziges Blatt Papier, das mit einer akkuraten Handschrift beschrieben worden war.
     
     
„ Liebe Mia,
du kennst mich nicht, aber ich besitze Informationen über deine Eltern. Vieles muss noch ans Licht gebracht werden. Unangenehme und schmerzvolle Wahrheiten und Geheimnisse warten darauf, aufgedeckt zu werden. Doch ich weiß: Du bist jetzt stark genug, dies zu vollbringen.
Wenn du mehr wissen willst, triff einen Boten morgen Abend bei Sonnenuntergang im Stadtpark; direkt bei der Weide, die Kaiser Pi Dang dereinst gepflanzt hat.
Hochachtungsvoll,
ein Freund “
     
    Mia wurde heiß, dann kalt, und wieder heiß. Sie las den Brief noch einmal. Ein drittes mal. „Meine Eltern“, flüsterte sie und schüttelte ungläubig mit dem Kopf. Sie hatte keine Eltern. Zumindest keine, an die sie sich erinnern konnte. Und sie wusste nichts über sie. Oder? Verschwommene Bilder entstanden vor ihrem geistigen Auge:
     
    Ein Kinderbett, darin ein Baby. Neugierig betrachtet es die Welt um sich herum. Es wirkt zufrieden. Lauscht einem Gesang, der von einer zarten Frauenstimme herrührt. Eine einfache und beruhigende Melodie. Die Urheberin steckt irgendwo da draußen im Nebulösen. Zu undeutlich, zu verschwommen ist alles. Kein Gesicht zu erkennen. Dennoch spürt das Kind Geborgenheit und Sicherheit. Wärme und Liebe. Es lächelt.
     
    Auch auf Mias Gesicht zeichnete sich ein gedankenversunkenes Lächeln ab. Ein wohliges Gefühl machte sich in ihr breit. Doch so schnell, wie es kam, verschwand es auch wieder. „Was war das?“ Mia merkte, dass sie eine einsame Träne im Augenwinkel hatte. Beschämt wischte sie sie weg. Ihr Gesicht wurde wieder ernst. Mit aller Kraft drängte sie die ungewohnten Emotionen beiseite. „Das ist nicht gut.“, sagte sie mit leiser, aber fester Stimme und gestikulierte dabei vor ihrem Gesicht herum, als könne sie die Gefühle packen und einfach im Müll entsorgen. Doch trotz allem: Irgendetwas blieb, auch wenn sie es nicht genau beschreiben konnte. Eins wusste die junge Frau hingegen ganz genau: Sie musste herausfinden, was es mit der Botschaft in dem Brief auf sich hatte – allein schon, weil sie mit dem ein ernstes Wörtchen reden wollte, der da in ihre Privatsphäre eingedrungen war. So etwas konnte sie nicht tolerieren.
    Nach einer einfachen Mahlzeit machte sie sich bettfertig und legte sich hin. An einen ruhigen Schlaf konnte sie jetzt allerdings nicht mehr denken.
     

Kapitel 2
     
     
    Erbarmungslos knallte die Sonne auf die schier endlose Ebene. Kein Lüftchen regte sich. Die Hitze stand über
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