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Eisblut

Eisblut

Titel: Eisblut
Autoren: Marina Heib
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seine Stirn, er atmete
stoßweise.
    Â»Seid ihr im Haus geblieben?«
    Martin atmete immer schneller und schneller, Volker konnte seinen
Blick nicht mehr festhalten, die Pupillen weiteten sich, die
Herzrhythmus-Maschine begann bedrohlich zu piepsen. Martin rettete sich in die
Bewusstlosigkeit.
    Â»Scheiße«, fluchte Volker, »Scheiße. Verfluchte Scheiße.« Er lief
auf den Flur hinaus, schrie nach dem Arzt. Der Arzt rannte im Laufschritt
herbei, hinter ihm Herr und Frau Abendroth. Volker verließ die Intensivstation,
um zu telefonieren.
    Eberhard stand bei den Streifenbeamten vor der Freitreppe.
Einige wollten den Einsatz abbrechen. Sie hatte nichts und niemanden im Haus
gefunden und waren der Meinung, dass sie ihre Zeit vergeudeten. Eberhard schrie
sie an, warf ihnen mangelndes Engagement vor, Mutlosigkeit, Faulheit, Dummheit,
entschuldigte sich für seinen Ausbruch und schrie sie wieder an. Pete stand
zwei Meter entfernt und telefonierte. Er hörte konzentriert zu, klappte sein
Handy zusammen und rief Eberhard herbei: »Volker ist sicher, dass sich Gellerts
Folterkammer im Haus befindet. Er glaubt, Martin Abendroth so verstanden zu
haben.«
    Eberhard schüttelte genervt den Kopf: »Er glaubt? Tolle Hilfe!
Geht’s auch genauer? Wir haben alles abgesucht, jedes Zimmer, jede
Abstellkammer, jede noch so winzige Ecke!«
    Â»Wir suchen weiter. Noch mal und noch mal. Bis wir sie finden.«
    Â»Und wenn Volker sich irrt? Was dann?«
    Â»Hast du eine bessere Idee? Daniel soll sich die Grundrisse des
Hauses vom Katasteramt besorgen. Wir nehmen uns das Haus nochmals vor. Und die
anderen sollen den Garten absuchen. Jeden Zentimeter des Grundstückes, hast du
mich verstanden? Los jetzt!«
    Eberhard nickte und ging hinüber zu den Kollegen. Er nahm es nicht
persönlich, dass Pete ihn angeschrien hatte. Auch dessen Nerven lagen blank.
Wie viel Zeit blieb ihnen noch? Wie viel Zeit blieb Christian und Anna?
    Christian blutet aus einer Vielzahl kleinerer Schnittwunden.
Keine davon ist lebensbedrohlich, aber der Blutverlust wird ihn mehr und mehr
schwächen. Gellert schneidet Annas Fesseln mit dem gleichen Skalpell durch, mit
dem er Christian geschlitzt hat.
    Â»Steh auf«, sagt er zu Anna.
    Anna steht auf. Es fällt ihr schwer. Die Knie zittern, die
Muskulatur schmerzt.
    Â»Zieh dich aus«, sagt er zu Anna.
    Â»Nein«, flüstert Anna, »nein.«
    Gellert geht zurück zur Metallkommode und drückt auf einen Knopf des
Trafos. Christian schreit laut auf und sackt in sich zusammen.
    Â»Zieh dich aus.«
    Anna zieht ihre Bluse aus. Sie stirbt ein wenig dabei.
    Â»Warum tun Sie das?«, fragt sie weinend.
    Gellert lacht. »Du bist eine dumme Psychologin, Anna. Du stellst
dumme Fragen. Du siehst Folter als Ausdruck einer neurotischen Störung, nicht
wahr? Als sittliche Primitivität. Du hast keine Ahnung. Los, zieh die Hose
aus.«
    Anna zieht zitternd ihre Schuhe aus.
    Â»Folter ist rechtliche Praxis. Schon immer gewesen. Und zutiefst
menschlich. Gründe? Macht. Dominanz, Aggressivität. Langeweile. Neugier. Egal.
Hast du eine Ahnung, wie einfach und problemlos Foltern und Töten
vonstattengeht, wenn die erste Hemmschwelle einmal überwunden ist? Zieh dich
endlich aus.«
    Â»Lass sie in Ruhe, du irres Schwein!« Christians Gebrüll klingt
nicht wie von dieser Welt. Anna wirft ihm einen verzweifelten Blick zu. Gellert
bestraft Christian mit einem heftigen Stromstoß. Christians Körper bäumt sich
auf und sackt mit lautem Krachen wieder auf den metallenen Tisch. Christian ist
der Bewusstlosigkeit nahe.
    Gellert gibt Anna ein Zeichen. »Weiter.«
    Anna zieht die Hose aus. Tränen laufen ihr die Wangen herunter, ihre
Wimperntusche ist verschmiert.
    Â»Du musst dir mal Gedanken über den Schmerz machen, Anna. Schmerz
und Angst, Anna. Beides ist nur dem Bewusstsein der unter ihnen leidenden
Person unmittelbar zugänglich. Das ist dir klar, oder? Wenn du Schmerz
wahrnimmst, echten Schmerz, errichtet der Schmerz zwischen dir und der Welt der
anderen eine unüberwindliche Mauer. Schmerz ist nicht formulierbar, du kannst
ihn niemals adäquat ausdrücken. Zieh deine Unterwäsche aus.«
    Anna schüttelt den Kopf.
    Gellert schlägt ihr mit der geballten Faust ins Gesicht.
    Annas Augenbraue platzt auf. Anna stürzt nach hinten, sie fällt,
schlägt mit dem Hinterkopf gegen die Betonwand. Anna bleibt
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