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Eisblut

Eisblut

Titel: Eisblut
Autoren: Marina Heib
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relativ frischen Wunden übersät. Die ersten
Fliegen machten sich schon an den offenen Stellen zu schaffen und legten ihre
Eier ab. Kalle stand in der Ecke und kotzte. Er hatte den Sack kurz nach
Dienstbeginn entdeckt und pflichtbewusst seinen Inhalt untersuchen wollen,
schließlich musste er wissen, was er in den Sondermüll tat und was nicht. Ein
Mensch war definitiv kein Sondermüll, eher was für die Biotonne. Als Kalle die
schon vorhandene Öffnung des Sacks vergrößert hatte, um nachzuschauen, waren
zwei Ratten daraus hervorgehuscht und zwischen den Containern verschwunden.
Kalle war erschrocken, und seine Kollegen hatten ihn ausgelacht. Aber denen
verging das Lachen, als Kalle den Sack auf den Boden entleerte. Seitdem kotzte
Kalle. Er hatte erst vor einer Woche im Offakamp angefangen, und auch wenn er
nicht sonderlich stolz auf die Arbeit war, so war es doch eine anständige und
ehrliche Arbeit. Als nun aber einer seiner Kollegen neben ihn trat und ihm
tröstend die Hand auf den Rücken legte, presste er ein entschiedenes »ich
kündige« hervor. Keiner lachte ihn aus.
    Hauptkommissar Martin Ganske, dem die Leiche im Sack einen
genussbetonten Samstagmorgen im Bett mit seiner Geliebten verdorben hatte,
verspürte keine Lust, sich mit dem nach Kotze stinkenden Kalle zu beschäftigen,
der war unter seinem Niveau. Den konnten seine Leute übernehmen, die den ersten
Sicherungsangriff ausführten. Das Gelände wurde weiträumig abgesperrt, Spuren
nummeriert und fotografiert, die Personalien der Zeugen aufgenommen. Ganske
stand leicht erhöht auf einer dreistufigen Metalltreppe vor einem Container,
einem ihm unwürdigen Feldherrnhügel, und betrachtete grübelnd das geschäftige
Treiben rund um den Plastiksack. Er griff zu seinem Handy.
    Â»Hallo, Hugo, ja, ich bin’s. Sorry, dass ich dich so früh störe,
aber ich habe hier eine Leiche, die sieht nicht gut aus. Gar nicht gut, wenn du
mich fragst. Nein, musst du nicht, aber ich denke da an was anderes …« Ganskes
Miene nahm etwas Verschlagenes an. »Unsere Wunderkinder von der Soko ›Bund‹ …
Ja, klar, Beyer ist schon lange raus, und die Jungs aus seiner Truppe sterben
vor Langeweile … Aber lange kannst du sie nicht mehr kaltstellen, du weißt,
Waller will sie endlich wieder adäquat beschäftigen, damit die Steuergelder
nicht verschwendet werden, der Arsch, als ob ihn das interessieren würde …
Dieser Fall hier ist meiner Meinung nach verdammt adäquat … Nein, ich habe
Waller noch nicht angerufen, ich wollte zuerst mit dir reden … Genau, Hugo … Noch
ein Fehler, und die sind endlich weg vom Fenster … Natürlich ist es ein Risiko,
aber ich schätze es nicht allzu hoch ein, ohne Beyer sind die Jungs doch nicht
mal die Hälfte wert, wenn du mich fragst … Okay, dann sind wir einer Meinung.
Ich gebe jetzt Waller Bescheid, schätze, er wird von selbst auf die Idee
kommen, wenn ich ihm die Infos entsprechend präsentiere …«
    Eine weitere Stunde später begrüßte Ganske mit falscher
Freundlichkeit die Mitglieder der von Oberstaatsanwalt Waller benachrichtigten
Soko. Pete Altmann, Eberhard Koch und Volker Jung ignorierten Ganske
weitestgehend und nahmen schweigend ihre Arbeit auf. Die überraschende
Tatsache, dass Waller ihnen den Fall zugeteilt hatte, kommentierten sie nicht,
zumindest nicht vor ihrem Widersacher. Der zog sich, verlogen Glück wünschend,
in sein Privatleben zurück, überließ der Soko aber immerhin einen Teil seiner
Kräfte für die aufwendige Tatortarbeit.
    Es war kurz vor zehn Uhr, der Nieselregen hatte zugenommen und war
mittlerweile in ein veritables Schnüren übergegangen. Sie besahen sich die
Leiche, untersuchten den Ereignisort, kümmerten sich um Sicherung und Schutz
der Beweismittel, um die Feststellung und lückenlose Dokumentation des
Tatortbefundes, soweit noch nicht geschehen, und um die erste
Informationserhebung. Einige der anwesenden Beamten, die unter Ganske mit der
Arbeit begonnen hatten, waren sauer, dass Pete und seine Leute ihre bisherigen
Maßnahmen begutachteten und teilweise wiederholten, ganz so, als hätten sie
nicht gründlich genug gearbeitet. Andere wiederum verstanden gut, dass die
Kollegen sich ihr eigenes Bild machen wollten. Es hing ganz davon ab, wie die
Sympathien verteilt waren: Entweder die Beamten standen auf
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