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Eisblut

Eisblut

Titel: Eisblut
Autoren: Marina Heib
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Ganskes Seite, der
seit der Einrichtung der ersten deutschen Soko mit länderübergreifenden Kompetenzen
vor gut einem Jahr von Neid zerfressen wurde, weil ihm als Protegé des
Hamburger Polizeipräsidenten Hugo Dorfmann nicht die Leitung übertragen worden
war. Oder sie waren alte Kollegen von Christian Beyer, der die Soko
zusammengestellt hatte und trotz seines bekanntermaßen schwierigen Charakters
und der Fehler, die man ihm zweifellos nachsagen konnte, immer noch von vielen
eine gehörige Portion Respekt, wenn nicht Bewunderung entgegengebracht bekam.
Beyer war zwar von der Truppe suspendiert, dennoch war und blieb es in den
Augen aller seine Truppe.
    Pete, Eberhard und Volker kannten die Vorbehalte gegen sie zur
Genüge, doch sie scherten sich nicht darum. Nur Karen, Rechtsmedizinerin und
früher einmal Mitglied der IDKO, der international arbeitenden Identifizierungskommission,
hatte nicht mit diesen kleingeistigen, politischen Ränkespielen zu kämpfen. Als
sie mit ihrem Pathologenkoffer als Letzte im Offakamp ankam, wurde sie von
allen Beamten mehr als wohlwollend begrüßt. Ihre hüftlangen, blonden Haare, das
feingeschnittene Gesicht und die umwerfende Figur hoben sie auf einen Sockel
des Begehrens und somit über jegliche Machtspielchen. Sie machte sich
schweigend an die Arbeit. Und niemand sah ihr an, wie sehr sie der Anblick der
jungen Frau, gezeichnet von Verstümmelungen durch Menschenhand und Tierfraß,
erschütterte. Sie schaltete ihre berufliche Distanz ein und begann mit den
ersten Untersuchungen.
    Vor den Schiebetoren des Offakamp hatte sich inzwischen eine
Vielzahl von Bürgern versammelt, die schimpfend hupten, weil sie ihren Garten-
und Sondermüll im Kofferraum nicht loswerden konnten, bevor sie in den
Supermarkt fuhren, um den Kofferraum dort wieder aufzufüllen. Es dauerte eine
Weile, bis die hinterste Reihe der Wartenden von den aufgeregten Beobachtungen
der ersten Reihe erfuhr. Schon war der Supermarkt vergessen, und als die
Vertreter der Presse dazukamen und sich aufgeregt mit den Polizisten um den
Zugang zum Fundort stritten, entwickelte sich der Vormittag für viele dann doch
noch zu einem Highlight. Allen war klar, dass die junge Frau mit den
entsetzlichen Verletzungen sich nicht selbst in den Plastiksack gepackt hatte.

Tag 2: Sonntag, 29. Oktober
    Anna schreckte aus dem Halbschlaf hoch, als die Frau neben
ihr einen spitzen Schrei ausstieß. Die Maschine war in Turbulenzen geraten,
rüttelte unangenehm hin und her, ächzte und knarzte, als würde der Stahl jeden
Moment bersten.
    Â»Sie haben Flugangst«, stellte Anna mehr fest, als dass sie es
fragte. »Blödsinn«, gab die Frau zur Antwort, krallte ihre Hände in die
Armlehnen und hielt die Luft an. Das Flugzeug sackte kurz nach unten und
stabilisierte sich wieder. Anna lehnte sich in ihrem Sitz zurück. Die barsche
Reaktion ihrer Sitznachbarin zeigte deutlich, dass sie nicht zu dem Typ
gehörte, der sich das Händchen halten lassen wollte, um mit seiner Panik fertig
zu werden. Genau wie Christian. Ein einziges Mal war er mit ihr in ein Flugzeug
gestiegen, und es war für sie beide der Horror gewesen. Anna hatte noch nie
auch nur leises Unwohlsein beim Fliegen empfunden, nicht mal bei einem Trip mit
einer Einmotorigen über ein Gebirge in Costa Rica, wo es so heftig zugegangen
war, dass selbst hartgesottene Passagiere nach den Kotztüten gegriffen hatten.
Doch nach dem gemeinsamen Flug mit Christian war sie völlig fertig gewesen.
Christians Anspannung hatte sich auf sie übertragen, seine Aggression nach der
Landung, mit der er den Stress abbaute, führte zum Streit. Sie war wütend auf
ihn gewesen, weil er sich zwar aus beruflichen Notwendigkeiten jederzeit in ein
Flugzeug setzte, sie ihn aber monatelang hatte bearbeiten müssen, bis er bereit
war, mit ihr in die Provence in einen Urlaub zu fliegen, den sie beide bitter
nötig hatten. Die ersten beiden Tage nach der Landung machte er ihr zur Hölle,
gewissermaßen als Strafe für die Todesangst, die sie ihm aufgezwungen hatte,
und zwei Tage vor dem Rückflug sank seine Laune schon im Voraus unter den
Nullpunkt. Vier beschissene Tage, die, gemessen daran, dass sie nur eine Woche
unterwegs waren, den ersten gemeinsamen Urlaub komplett vergifteten. Da gab es
nichts zu verklären, auch nicht im Nachhinein.
    Anna stellte ihre Rückenlehne senkrecht, unter ihnen waren schon
Hamburgs
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