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Eisblut

Eisblut

Titel: Eisblut
Autoren: Marina Heib
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kräftigen Zügen
geleert.
    Anna nahm einen nun etwas kontrollierteren Schluck und fuhr fort:
»Frau Hamidi ist im Iran aufgewachsen als Tochter einer privilegierten,
politisch links orientierten Familie. Als Studentin hat sie sich dem Untergrund
angeschlossen, der den Sturz des Schahs zum Ziel hatte. Sie gehörte zur
militärisch-marxistischen Fraktion der Partisanen der Volksfedajin, wenn ich
das richtig verstanden habe. Jedenfalls wurde sie vom Savak, dem Geheimdienst
des Schahs, geschnappt. Und gefoltert. Schnitte, Elektrokabel, mehrfache
Vergewaltigung, über Tage hinweg. Und … man hat ihr die Brustwarzen mit einer
stumpfen Schere abgeschnitten.« Anna machte eine Pause, um ihre zitternde
Stimme wieder unter Kontrolle zu bekommen.
    Â»Sie hat es mir gezeigt«, fügte sie leise hinzu.
    Nach einem Räuspern fuhr sie mit bemüht normaler Stimme fort: »Als
dann Chomeini kam, dachten die Iraner, alles würde besser werden. Aber weit
gefehlt. Er merkte, dass die Studenten sich nicht so einfach indoktrinieren
ließen, und ergriff die altbekannten Maßnahmen. Mit Knüppeln bewaffnete
Anhänger der Gottespartei, der Hisbollah, stürmten die Unis und schlossen sie
für zwei Jahre. In dieser Zeit wurden wieder Tausende von Studenten, Studentinnen
und Lehrkräften verhaftet, gefoltert und hingerichtet. Frau Hamidi hat kurz
nach der Schließung der Unis das Land verlassen. Sie will nie wieder dorthin
zurück. Mohsen wurde in Deutschland geboren. Er hat keine Ahnung, was seiner
Mutter unter dem Schah-Regime zugestoßen ist. Frau Hamidi möchte, dass das so
bleibt.«
    Â»Und sie vermutet aufgrund der ähnlichen Verletzungen …«, grübelte
Pete.
    Anna nickte: »… dass der Mörder ein Iraner ist. Vielleicht jemand vom
früheren Savak. Diese Geschichte mit den Brustwarzen war eine berüchtigte
Spezialität des Schah-Geheimdienstes.«
    Pete starrte ins Leere. »Während du dich frisch gemacht hast, hat
Karen angerufen. Sie haben die Leiche identifiziert. Nur die Bestätigung der
Mutter steht noch aus. Unsere Tote ist eine einundzwanzigjährige Frau. Aus
gutbürgerlichem Hause, wie man so schön sagt. Bislang gibt es absolut keinen
Hinweis auf einen politischen Hintergrund oder eine wie auch immer geartete
Verstrickung von Geheimdiensten. Mein Täterprofil zielt weitaus eher auf einen
sexuell motivierten Sadisten.« Er sah Anna direkt in die Augen: »Für wie
glaubwürdig hältst du Frau Hamidi?«
    Anna überlegte: »Sie machte auf mich einen sehr ruhigen und
kontrollierten Eindruck. Trotzdem könnte es natürlich sein, dass sie als
Folteropfer durch Mohsens Schilderung an ihr Trauma erinnert wurde und ihre
These von einer alten Paranoia geprägt ist. Wenn es absolut keine Verbindung
zum Iran gibt …«
    Pete seufzte: »So würde ich das nicht sagen. Unsere Leiche hat zu
Lebzeiten im Hauptfach Sozialpädagogik und im Nebenfach Orientalistik studiert.
Trotzdem halte ich das alles für ausgemachten Blödsinn. Ich brauche keine
geheimdienstlichen Verschwörungstheorien, um mir die missbrauchte und
verstümmelte Leiche einer hübschen jungen Frau zu erklären.«
    Erschöpft rieb sich Anna mit der Hand über die Augen. »Wie dem auch
sei, ich würde vorschlagen, du machst dich an die Arbeit und kriegst das
Schwein. Ich habe mit Frau Hamidi gesprochen, wie du wolltest. Das war schlimm
genug. Ich will mit der Sache nichts mehr zu tun haben. Ich will einfach nur
schlafen.«
    Manuela Berger würde lange Zeit nicht mehr schlafen
können. Volker hatte sie zu Karen in die Gerichtsmedizin gebracht, damit sie
die Leiche identifizieren konnte. Zuerst wies Frau Berger noch den typisch
zwiespältigen Gesichtsausdruck von Verwandten auf, der einerseits geprägt war
von der unterdrückten Angst, die Leiche auf dem Metalltisch könnte tatsächlich
der vermisste Mensch sein, und andererseits der fragilen Sicherheit, dass das
alles nur ein blöder, wenn auch schrecklicher Irrtum sein müsste. Karen wusste,
was sie davon zu halten hatte: Wunschdenken.
    Manuela Berger hatte ihren Sohn Lars dabei, der die Mutter
vorsichtig am Arm stützte. Karen begrüßte die beiden mit leiser Stimme. Noch
bemühte sich Frau Berger um Selbstbeherrschung, doch Karen wusste aus
Erfahrung, wie schnell das psychische Abwehrsystem zusammenbrach, wenn die
Angehörigen der nackten
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