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Eisblut

Eisblut

Titel: Eisblut
Autoren: Marina Heib
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Doch allzu große Gedanken machte sich
Schorsch nicht. Er war mit jeglichen Arten von Blackouts vertraut. Am besten er
schlief noch ’ne Runde, dann würde er klarer sein, sich bewegen können und Hansi
unter der Brücke abholen. Friedlich wollte sich Schorsch wieder in den Nebel
gleiten lassen, doch eine Tür quietschte metallisch, und ein plötzliches
grelles Licht über seiner Lagerstatt blendete ihn. Er kniff die Augen zusammen
und fluchte: »Mach’s Licht aus, du Arsch, ich will schlafen!«
    Ein amüsiertes Lachen war zu hören und dann eine sehr angenehme
Stimme: »Du hast fast zwanzig Stunden verpasst, du Penner. Schlafen kannst du,
wenn du tot bist. Das wird zwar nicht mehr allzu lange dauern, aber vorher wollen
wir noch etwas Spaß haben, wir beide.«
    Und ganz plötzlich war Schorsch hellwach und erinnerte sich an den
Plastiksack im Recyclinghof. Den Plastiksack mit dem Fuß drin. Beim Sondermüll.
Schorsch wurde schlagartig übel. Aber bewegen konnte er sich immer noch nicht.
Keinen einzigen Millimeter.

Tag 3: Montag, 30. Oktober
    Christian belegte sich gerade ein Knäckebrot mit schon
leicht gewellten Käsescheibletten, als es Sturm klingelte. Verwundert sah er
auf die Uhr. Kurz nach sieben. Er drückte den Summer und wartete an der Tür,
bis der Fahrstuhl oben ankam. Dass er mit freiem Oberkörper in einer
ausgebeulten Jogginghose dastand, juckte ihn wenig. Aus dem Aufzug trat eine
Frau, die zu viel Make-up aufgetragen hatte, um die Spuren ihrer durchwachten
Nacht zu übertünchen. Es war ihr nicht gelungen.
    Â»Manu«, entfuhr es Christian. Seit mindestens fünf Jahren hatte er
weder etwas von ihr gesehen noch gehört. Sie hatte sich kaum verändert. Sie war
immer noch perfekt frisiert, perfekt gekleidet, teuer und stilvoll, die
typische Vogue-Leserin, deren Glanz schon lange nicht mehr in den Augen liegt
sondern in den Knöpfen des Chanel-Kostüms und die sich ihr Botox nicht von
jedem Scharlatan spritzen lässt. Allerdings schienen durch die überpflegte
Fassade kleine Risse hindurch, zumindest heute, zumindest um diese Uhrzeit.
Wortlos ging Manuela Berger an ihm vorbei in die Wohnung. Christian folgte ihr.
»Was ist denn los? Du siehst ja furchtbar aus.« Manuela ignorierte Christians
bekannt uncharmante Art.
    Â»Meine Tochter. Irgendein Schwein hat meine Tochter umgebracht«,
stieß sie zitternd hervor. Christian nahm ihr den Mantel ab.
    Â»Setz dich, ich mach uns Kaffee«, sagte er.
    Â»Ich will keinen Kaffee, ich will, dass du den Kerl zur Strecke
bringst.«
    Sanft drückte Christian sie in die Polster seines Sofas. »Ich bin
nicht mehr bei der Polizei. Suspendiert. Seit knapp einem Jahr.«
    Â»Das ist mir egal.«
    Christian sah Manuela nachdenklich an. Vor einigen Jahren hatte er
eine Affäre mit ihr gehabt, doch als sie sich ernsthaft in ihn verliebte und
ihren Mann und ihre beiden Kinder für ihn verlassen wollte, war ihm die Sache
zu bedrohlich geworden, und er hatte sich von ihr getrennt. Nicht im Guten.
    Â»Du findest ihn, und du tötest ihn für mich. Das bist du mir
schuldig.«
    Ohne Rücksicht auf die Straßenverkehrsordnung raste Volker
auf seinem »One-Fucking-Gear«-Bike in Richtung Schanzenviertel. Er war spät
dran. Der 41-jährige Verhörspezialist hatte heute Morgen etwas zu lange für
seine buddhistischen Übungen gebraucht, irgendwie hatte er dabei jedes
Zeitgefühl verloren. Zuspätkommen war in Volkers Augen eine Respektlosigkeit
den Kollegen gegenüber, also trat er in die Pedale wie ein Berserker und beging
fast eine folgenschwere Respektlosigkeit einer Passantin gegenüber. Er konnte
gerade noch bremsen.
    Als Volker trotz der kühlen Temperaturen verschwitzt in der
schäbigen Einsatzzentrale ankam, saßen seine Kollegen Eberhard und Daniel schon
im Konferenzzimmer. Daniel, ehemaliger Hacker und Spezialist für jegliche
legalen und illegalen Recherchen per Datenautobahn, grüßte nur mit einem kurzen
Brummen und versenkte seinen Blick wieder in die Boulevard-Zeitung vor ihm.
Eberhard, der 35-jährige Kriminaltechniker, der wegen seiner Liebe fürs Kochen
Herd genannt wurde, stand in einer alten Jeans und einem fleckigen Baumwollhemd
hinter Daniel und stemmte mit einem Eisen einen langen und tiefen Riss in der
Wand weiter auf. Er machte dabei einen Höllenlärm und überzog alles mit einer
feinen Staubschicht, was
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