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Eis und Wasser, Wasser und Eis

Titel: Eis und Wasser, Wasser und Eis
Autoren: Majgull Axelsson
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vorsichtiger Schritte auf dem Flur, das Geräusch, das von der Musik aus der Nachbarkabine fast übertönt wird. Stocksteif steht sie da und lauscht. Hört, wie jemand einen Schlüssel in ihre eigene Tür steckt. Hört, wie jemand ihn umdreht. Hört, wie die Tür geöffnet und in der nächsten Sekunde wieder geschlossen wird.
    Er ist drinnen. Er ist in ihre Kabine gegangen.
    Sie schiebt die Hand in die Tasche und umfasst Björns Springmesser. Oder – wenn man so will – Björns Nagelfeile.

»Hallo, Robban«, sagt sie. »Machst du kein Licht an?«
    Genau wie erwartet. Genau wie sie es geplant hat.
    Sie drückt mit der Hüfte die Tür auf, schiebt sie in die Halterung. Geht nicht hinein, sondern bleibt auf der Schwelle zu ihrer Kabine stehen, weil sie ihm bestimmt nicht die Chance geben will, entweder die Tür zu schließen oder zu verschwinden. Jubelt leise innerlich. Er ist hier! Sie hat ihn gefangen! Dann streckt sie die Hand aus und schaltet die Deckenbeleuchtung ein. Wartet, bis sich das gelbe elektrische Licht mit dem Grau der Nacht mischt, dem Grau, mit dem Robban sich hatte begnügen wollen. So ist es besser. Viel Licht. Alles Licht auf Robban.
    »Du musst doch sehen, was du machst«, sagt sie lächelnd. »Was machst du?«
    Er ist ganz grau im Gesicht geworden. Graubleich. Die Schultern hängen. Eine Haarsträhne hat sich aus seinem Pferdeschwanz gelöst und hängt ihm über die Wange. Der Mund steht offen. Er ist wirklich überrascht. Ziemlich betrunken und ziemlich überrascht.
    »Mach den Mund zu«, sagt Susanne. »Sonst verschluckst du noch eine Fliege. Und das willst du doch nicht, oder? Du willst doch keine Fliege verschlucken?«
    Er schließt den Mund und versucht sich größer aufzurichten, versucht außerdem höhnisch zu gucken.
    »Es gibt keine Fliegen hier«, sagt er. »Wir befinden uns schließlich in der Nordwestpassage.«
    »O doch«, erwidert Susanne und lehnt sich an den Türpfosten. »Ich habe eine eigene kleine Fliegenzucht. Unter der Koje.«
    Er reagiert, wie alle Männer reagieren, wenn Frauen sie auf den Arm nehmen. Hält das für ausgeschlossen. Für den Bruchteil einer Sekunde wandert sein Blick unter die Koje, in der nächsten Sekunde sieht er ein, dass das ein Fehler war. Und schaut schnell wieder auf.
    »Got you!«, sagt Susanne und lächelt wieder. »Und was hast du da in der Hand? Ein Geschenk für mich?«
    Er schaut auf das, was er in der Hand hält, eine Art weißer Stoffball mit schwarzen Strichen oben. Es dauert einen Moment, bis sie versteht, was das vorstellen soll: lange schwarze Haare. Die Augen sind schwarze Punkte. Der Mund genauso schwarz, nur größer. Eine hingekritzelte kleine Note darin. Singend. Robert hat also offenbar einen singenden Mund auf diesen Kopf gemalt. Die Wut durchfährt Susanne, doch sie ignoriert sie. Will nicht, dass er auch nur das Geringste davon mitbekommt.
    »Hast du eine Puppe gebastelt?«, sagt sie nur. »Und wen soll sie darstellen?«
    Robban schwankt, einen Moment lang fürchtet sie, er könnte umfallen, sich auf ihrem Boden erbrechen und alles kaputt machen. Doch er bekommt sich in den Griff, hebt seine gesunde Hand und starrt auf den Kopf. Grinst.
    »Was glaubst du wohl?«
    »Vielleicht jemanden, der singen kann«, sagt Susanne. »Oder?«
    Robban lässt den Kopf los, er rollt über den Boden. Stößt gegen die Wand und bleibt liegen. Susanne sieht Robban an. Wartet. Legt schließlich den Kopf schräg.
    »Also kein Selbstporträt.«
    Er antwortet nicht, starrt nur auf den Kopf und schaut dann Susanne an. Aus zusammengekniffenen Augen. Das ist eine Drohung. Wenn er nüchtern wäre, bekäme sie vielleicht Angst. Doch er ist nicht nüchtern, er ist sogar ziemlich angetrunken. Sie könnte ihn mit dem Zeigefinger umschubsen. Vielleicht sollte sie das sogar tun. Die Musik aus der Kabine nebenan verstummt in dem Moment, als ihr der Gedanke durch den Kopf schießt, und plötzlich herrscht Stille. Nur das Herz der Oden schlägt irgendwo weit entfernt. Bum. Bum. Bum.
    »Mach die Tür zu«, sagt Robban. »Mach die Tür zu und komm rein.«
    Susanne lächelt erneut. Wohl kaum. Sie legt die Hand auf den Türpfosten.
    »Warst du genauso betrunken, als du das letzte Mal hier warst? Als du diese erwürgte Frau auf mein Bett gelegt hast?«
    Er blinzelt. Versucht sich zusammenzureißen.
    »Ich weiß nicht, wovon du redest.«
    »O doch, Robban. Du brauchst es gar nicht erst zu versuchen. Das war doch ein gelungener Schabernack.«
    Er blinzelt, schiebt die
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