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Im Bureau: Erzählungen (insel taschenbuch) (German Edition)

Im Bureau: Erzählungen (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Im Bureau: Erzählungen (insel taschenbuch) (German Edition)
Autoren: Robert Walser
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Karneval
    Ein Commis ist ein Mensch zwischen achtzehn und vierundzwanzig Jahren. Es gibt ältere Commis, die aber hier nicht in Betracht fallen. Ein Commis ist in seiner Kleidung wie in seiner Lebensweise ordentlich. Unordentliche fallen außer Betracht. Übrigens gibt es verschwindend wenige von letzterer Sorte. Der rechte Commis legt gewöhnlich keinen reichen Witz an den Tag; er wäre ein mittelmäßiger Commis, wenn er es täte. Ein Commis erlaubt sich in Bezug auf Ausschreitungen äußerst wenig; feuriges Temperament ist in der Regel nicht seine Sache, dagegen besitzt er Fleiß, Takt, Anpassungsgefühl und eine Menge Eigenschaften, die so köstlich sind, daß sie ein so demütiger Mann, wie ich bin, nicht oder kaum zu erwähnen wagt. Ein Commis kann ein sehr herzlicher und herzhafter Mensch sein. Ich kenne einen, der bei einer Feuersbrunst eine hervorragende Rolle im Rettungswesen gespielt hat. Ein Commis ist im Handumdrehen ein Lebensretter, geschweige denn ein Romanheld. Warum werden Commis so spärlich zu Helden in Novellen gemacht? Ein Fehler offenbar, der endlich einmal ernstlich der vaterländischen Literatur unter die Nase gehalten werden muß. In der Politik, sowie in allen öffentlichen Fragen hat der Commis seine gewaltige Tenorstimme wie nichts. Jawohl, wie nichts! Etwas muß besonders hervorgehoben werden: Commis sind reiche, prächtige, ursprüngliche, herrliche Naturen! Reich in jeder Beziehung, prächtig in vielem, ursprünglich in allem und herrlich sowieso. Sein Talent zu schreiben macht leicht einen Schriftsteller aus dem Commis. Ich kenne zwei, drei, deren Traum, Schriftsteller zu werden, bereits in Erfüllung gegangen ist, oder noch gehen wird. Ein Commis ist eher eintreuer Liebhaber als treuer Biertrinker, sonst steinigt mich. Zum Lieben besitzt er eine besondere Neigung, und in jeder Art Galanterie ist er Meister. Ich habe einst ein Fräulein sagen hören, sie möchte lieber mit allem andern, als mit einem Commis eine Heirat schließen. Das hieße nur Elend versorgen. Ich aber sage, dieses Mädchen muß einen schlechten Geschmack und ein noch abscheulicheres Herz gehabt haben. Ein Commis ist in jeder Hinsicht empfehlenswert. So reinen Herzens ist kaum ein Geschöpf unter der Sonne. Besucht ein Commis etwa mit Vorliebe aufwieglerische Versammlungen? Ist er je so liederlich und anmaßend wie ein Künstler, so geizig wie ein Bauer, so protzig wie ein Direktor? Direktor und Commis sind zwei verschiedene Dinge, Welten, so weit voneinander entfernt wie Erde und Sonne. Nein, eines Handelscommis' Gemüt ist so weiß und reinlich wie der Stehkragen, den er anhat, und wer hat schon einen Commis mit anders als tadellosem Stehkragen gesehen? Ich möchte wissen, wer?

Immer noch Verkleidung
    Schüchtern kann der Poet sein, der, von der Welt verachtet, sich in seiner einsamen Dachkammer die Manieren, die in der Gesellschaft gelten, abgewöhnt hat, aber ein Commis ist noch viel schüchterner. Wenn er vor seinen Chef tritt, eine zornige Reklamation im Munde, weißen Schaum auf den bebenden Lippen, sieht er da nicht wie die Sanftmut selber aus? Eine Taube könnte ihr Recht nicht milder und sanftmütiger verfechten. Ein Commis überlegt hundert-, ja tausendmal, was er unternehmen will, und nur, wenn er sich vor eine Entscheidung gestellt sieht, zittert er vor Tatendrang. Dann wehe jedem, der sein Feind ist, wäre es selbst der Herr Direktor! Sonst aber ist ein Commis nie mit seinem Los unzufrieden. Er führt mit Behagen sein stilles Schreibdasein, läßt Welt Welt, und Streitereien Streitereien sein, ist klug und weise, und sieht aus, als ob er sich in sein Schicksal ergäbe. Bei seiner eintönigen und einfarbigen Beschäftigung hat er nicht selten Gelegenheit zu spüren, was es heißt, ein Philosoph sein. Er hat, vermöge seiner ruhigen Natur, das Talent, Gedanken an Gedanken zu reihen, Einfall an Einfall, Blitzidee an Blitzidee, und mit bewundernswerter Gewandtheit koppelt er seine Gedankenkolosse wie einen Güterzug von unabsehbarer Länge zusammen, vorn Dampf, hinten Dampf, und so sollte es nicht vorwärtsgehen? Über Kunst, Literatur, Theater und andere nicht gerade sehr propere Dinge weiß demnach der Commis mit richtigem Urteil, mit vielem Takt und vieler Besonnenheit stundenlang zu reden. Nämlich im Bureau, wenn er glaubt, sich ein bißchen der Allgemeinheit widmen zu sollen. Schießt dann der Chef mit Donner und Hagel hinein, was zum Teufel es da so eifrig zu disputieren gäbe, husch, ist das
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