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Einzelstücke - Möller, M: Einzelstücke

Einzelstücke - Möller, M: Einzelstücke

Titel: Einzelstücke - Möller, M: Einzelstücke
Autoren: Michaela Möller
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herunterdrücke.
    »Tim, noch mal, es tut mir wirklich leid.«
    Von der Tür kommt keine Antwort.
    »Tim! Nun sei nicht mehr sauer. Es war doch eigentlich ganz witzig, oder? Außerdem trägt Frau Sondtheim ja nicht deinen Ring am Finger.«
    Wieder keine Antwort.
    Schließlich lasse ich mein Spiegelbild los und drehe mich zur Tür. Als ich den Mann davor erkenne, schrecke ich zurück.
    »Entschuldigung. Die Haustür stand offen, da bin ich direkt hochgekommen.«
    Mein Herz pocht mit einem Mal so heftig in meiner Brust, als wolle es aus mir herausspringen.
    »Das sehe ich. Und was hat dieser Besuch zu bedeuten?«
    Der Mann vor der Tür lässt eingeschüchtert durch meinen Ton den Strauß Nelken in Zellophan neben sich sinken.
    »Ich wollte nur … darf ich reinkommen?«
    »Sicherlich nicht!«
    »Okay. Das verstehe ich. Ich wollte mich nur entschuldigen. Ich weiß, das kann das Geschehene nicht wiedergutmachen, aber Anna, ich bin nur ein Mann, der sich unsterblich verliebt hat.«
    Ich kann kaum glauben, was ich da höre.
    »In Sie, Anna.«
    »In mich?«
    Die dickliche Gestalt von Herrn Zwerger erscheint mir noch gedrungener als sonst.
    »Ich habe die Zeichen falsch gedeutet, die Sie im Büro gesendet haben. Und Sie wollten sicherlich auch nur nett sein, ichjedoch habe mehr darin gesehen. Ich wollte mehr darin sehen. Darum bin ich so … über Sie hergefallen. Und als Sie dann sagten, ich hätte Sie belästigt, das war mir so unfassbar peinlich, verstehen Sie? Ist das nicht verrückt? Ich stehe lieber als Nötiger da statt als verliebter Mann.«
    Ich schlucke. Mit schüchterner Geste reicht Herr Zwerger mir nun doch die gelb blühenden Blumen. Mit gesenktem Blick nehme ich sie an.
    »Auch wenn ich weiß, dass Sie meine Liebe nicht erwidern, so würde ich mich doch sehr darüber freuen, wenn Sie wenigstens meine Entschuldigung annehmen würden.«
    »Ja. Ja, danke. Das mache ich.«
    Mein ehemaliger Chef lächelt etwas verlegen, dann tritt er einen Schritt zurück.
    »Ich werde natürlich auf eine Anzeige verzichten. Und sagen Sie bitte auch Ihrem Freund, dass es mir leidtut. Im Gegenteil, den Schlag auf die Nase habe ich wohl gebraucht. Um mich quasi zurechtzurücken. Dieser Typ scheint ja ein ganz ordentlicher Kerl zu sein … Viel Glück mit ihm.«

27.
Sterben für Anfänger
    H aben Sie sich in letzter Zeit des Öfteren mal in lebensmüder Überzeugung auf die Außenseite Ihres Balkons begeben? Der kühle Nachtwind verwirbelt mein Haar. Heute ist Vollmond. Ein schlechter Tag, sich umzubringen, wie ich finde. Herr Zwerger ist weg, seine Blumen liegen unausgepackt auf dem Küchentisch. Meine Finger umgreifen das Eisengeländer des Balkons wieder etwas fester, meine Gedanken wandern zu meinem Vater, wie er mir kurz vor seinem Tod noch erklärte: »Wir Menschen sterben nicht an den Dingen, vor denen wir Angst haben, mein Butterblümchen. Wir sterben an den Dingen, vor denen wir keine Angst haben.«
    An Sonnenbrand.
    An rohem Fisch.
    An Heimwerkerarbeiten, weil wir am Fachmann sparen.
    An roten Fußgängerampeln.
    An Geschwindigkeitsübertretungen.
    An den Nebenwirkungen eines Medikaments.
    An der Weglassung dieses Medikaments.
    An Großveranstaltungen.
    An einem Herzinfarkt, den wir zu Hause allein im Sessel erleiden, weil wir nicht auf Großveranstaltungen gehen.
    An verunreinigtem Wasser.
    An zu wenig Flüssigkeit über die Jahre.
    An Sprüngen von Balkonbrüstungen.
    An Liebe zu einem Mann.
    Eines der oben aufgeführten Dinge ist mein Schicksal. Nun wissen Sie, welches. Fest steht, dass ich die damit einhergehenden Gefahren unterschätzt habe und es mich nun über kurz oder lang umbringen wird.
    Dumm ist nur, dass, so wie man die Sonne liebt und rohen Fisch und das schnelle Vorankommen, ich leider auch diesen Mann liebe und die Unterlassung dessen schwerer fällt als gedacht. Der Griff um das Eisengeländer wird etwas lockerer.
    Er hat mich nicht verlassen. Und er betrügt mich auch nicht mit einer anderen. Nein, es ist viel schlimmer.
    Er hat zugelassen, dass ich mich in ihn verliebe.
    Er hat zugelassen, dass ich ihm vertraut habe.
    Er hat zugelassen, dass ich ihm einen Antrag gemacht habe.
    Wieder und wieder spinnen die Worte von Susan Winter durch meinen Kopf, dass es mir den Atem nimmt und jegliches Verlangen, nach neuem zu ringen.
    Mein tränenverschleierter Blick wandert in die Tiefe, als Moritz vor meinem Geiste erscheint.
    Ach, dieser Idiot.
    Dieser Idiot.
    Dieser Idiot.
    Idiot.
    Idiot.
    Idiot.
    Ich bin ein
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