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Einzelstücke - Möller, M: Einzelstücke

Einzelstücke - Möller, M: Einzelstücke

Titel: Einzelstücke - Möller, M: Einzelstücke
Autoren: Michaela Möller
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Wogen zu glätten?
    Susan stellt sich zwischen Moritz und mich, hebt das Kinn ein wenig an und meint: »Du bist also diejenige, die mit meinem Mann schläft!«
    Ich.
    Ich.
    Ich tue was?
    Fassungslos starre ich Susan an. Dann trete ich einen Schritt zur Seite, um mir diese Information von Moritz bestätigen zu lassen. Mein Herz schlägt schneller denn je. Moritz’ Blick geht zu Boden.
    Verdammt.
    Ich drehe auf dem Absatz um, laufe die Stufen hinunter, so schnell es mir möglich ist, vergesse mein Fahrrad vor der Tür und renne. Irgendwohin. Ich habe keine Ahnung. Meine Atmung wird schneller. Das Herz schlägt mir mittlerweile bis zum Hals. In meinem Kopf breitet sich ein stechender Schmerz aus. Tränen laufen mir über die Wangen. Ich bekomme keine Luft mehr. Japsend halte ich an einer Parkbank an und beuge mich vornüber. Ich hyperventiliere. Bekomme keine Luft mehr. Ich habe eine Panikattacke, stelle ich fest, und versuche, mich irgendwie zu beruhigen.
    »Ganz ruhig, Anna!«, sage ich zu mir selbst. »Ganz ruhig. Das wird schon wieder.«
    Das Herz zuckt. Hört auf zu schlagen. Erholt sich wieder. Ichsinke auf die Bank. Mein Vater sagte immer: »Wenn der Schmerz dich überrollt und du denkst, dass du es nicht aushalten kannst, dann kannst du nur das eine machen: einatmen, ausatmen und wieder einatmen.«
    Ich atme ein. Ich atme aus.
    Mein Vater ist nicht mehr da.
    Mein Vater hat mich verlassen.
    Ich habe bis heute kein besseres Mittel gefunden, um darüber hinwegzukommen, als einzuatmen, auszuatmen und wieder einzuatmen.
    Meine Mutter sagte hingegen immer: »Man muss die Dinge loslassen, bevor sie einen zerreißen.«
    Meine Mutter! Meine Mutter wartet auf mich im Café Krümel. Es ist seit langer, langer Zeit das erste Mal, dass ich Sehnsucht nach ihr habe.

26.
Statt der Liebe
    D urch das große Fenster kann ich sie bereits erkennen. Sie nippt an einem Glas Wasser, in dem ein Minzstängel schwimmt, und spielt mit der anderen Hand an den dicken Holzperlen um ihren Hals. Ich zögere ein letztes Mal, atme tief durch und schiebe die Tür zum Café auf.
    »Anna.«
    »Hallo Hedi.«
    Ohne uns zu rühren, sehen wir uns eine Weile an.
    »Bitte, setz dich doch.«
    Ich ziehe einen Stuhl unter der Tischplatte hervor und nehme darauf Platz, wie meine Mutter es mir angeboten hat.
    »Wie geht es dir, Anna?«
    »Gut.«
    »Du siehst aber gar nicht gut aus, mein Kind. Ist etwas passiert? Bist du krank?«
    Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Meine Augen wollen alles an Hedi auf einmal erfassen. Ihre weißblonden Haare, die ihr über die Schultern fallen, die leicht gebräunte, faltige Haut, das orangefarbene weite Leinenkleid, das sie trägt, und die Kette darüber aus dicken, bunten Holzkugeln, die ihren schmalen Oberkörper noch zerbrechlicher wirken lassen. Das Blau ihrer Augen und den einen tiefbraunen Fleck, an den ich mich nur erinnere, jedoch nicht zu suchen wage.
    »Ich danke dir für deinen Anruf.«
    »Und ich danke dir, dass du gekommen bist.«
    Ich nicke nur. Der Klang ihrer Stimme hat sich nicht verändert.
    »Tja, was willst du trinken?«, versucht meine Mutter die Situation zu entspannen und sieht sich nach dem Kellner um.
    »Warum bin ich hier, Hedi?«
    »Anna. Das ist nicht so einfach für mich.«
    »Für mich war es das auch nicht, als du meinen Vater verlassen hast.«
    »Mein Kind, es tut mir unendlich leid, aber es ging nicht anders. Ich konnte nicht anders. Ich hatte jahrelang selbst keine Erklärung dafür, bis ich …«
    »Bis du was? Jetzt sag mir nicht, du hast einen Psychiater.«
    »Ich und ein Psychiater?« Meine Mutter lacht mich mit schiefgelegtem Kopf an, wodurch sie auch meine Mundwinkel zum Zucken bringt. Hedi hatte schon immer ein Lachen, das aufmuntert.
    »Ich bin deine Mutter. Ich habe zwei Psychiater.«
    Nun muss ich wirklich lächeln. Ein Stich in meinem Herzen sagt mir, wie sehr ich sie vermisst habe.
    »Meine liebe Anna, ich bin davongelaufen, weil ich feige war. Ich hatte zahllose Affären mit Männern, die mir nicht wirklich etwas bedeutet haben, um die Distanz zwischen deinem Vater und mir zu vergrößern. Ich habe ihn geliebt, und das hat mir so große Angst bereitet, dass ich einfach weggelaufen bin. Ich habe das nicht geplant, meine Füße sind einfach gelaufen. Ich konnte die Verantwortung nicht mehr tragen für dich und für deinen Vater. Und ich war mir sicher, dass du bei ihm viel besser aufgehoben sein wirst als bei einer Mutter wie mir. Er konnte dir alles bieten. Ein behütetes
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