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Einstein - Einblicke in Seine Gedankenwelt

Einstein - Einblicke in Seine Gedankenwelt

Titel: Einstein - Einblicke in Seine Gedankenwelt
Autoren: Alexander Moszkowski
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mehr abzujagen, als er ihm freiwillig zuführt. Er forciert kein abgezirkeltes Pensum nach des Dienstes immer gleichgestellter Uhr. Es gibt Geistesarbeiter, zumal Künstler, die eigentlich niemals vom vierundzwanzigstündigen Arbeitstag loskommen, die in nächtlichem Traumwerk Produktionsfäden des Tages fortspinnen. Einstein kann nach Lust und Bedarf aussetzen, unterbrechen, abbiegen, der Traum bringt ihm keine Inspiration und überfällt ihn mit keinem Problem.
    Dagegen wird er tagsüber desto mehr überfallen, von Dingen und Menschen, die auf ihn losstürmen. Das beginnt schon bei der Frühpost, deren Erledigung ein besonderes Bureau erfordern würde. Neben den Korrespondenzen von beruflicher und amtlicher Wichtigkeit wimmeln aus aller Welt die Zuschriften Unzähliger, die ihm einen Zeittribut abverlangen. Was sie, die Einzelnen, im Punkte der Relativitätslehre gedacht, empfunden, begriffen, bezweifelt, ergänzt und vor allem nicht verstanden haben, Einstein muß es erfahren und soll es beantworten. Hast du, Berühmter, noch eine Viertelstunde frei? Da warten sie schon im Korridor, die Maler, die Lichtbildner, die Tonkneter, die Interviewer, und mag die vorsorgliche Gemahlin Else noch so geschickt mit diplomatischer Beredtsamkeit deine Ruhe schützen, einige werden dich doch in Öl, in Gips, Kohle, Tusche, Druckerschwärze zur Strecke bringen. Auch der Ruhm fordert sein Notopfer, und wenn man von einer Ruhmesjagd sprechen will, so ist er darin ganz bestimmt das Wild, nicht der Jäger. Er seufzt unter der Last der Korrespondenz, und nicht nur als Empfänger; er seufzt auch mit dem Absender, dessen Schrift und Brief unerledigt bleiben muß. Zu einer richtigen Wut dem Zeitbedränger gegenüber bringt er es nicht. Wäre es anders, gälte ihm nicht nach des Syrus Spruchvers die Geduld als aller Schmerzen Arzenei, – wie hätte ich selbst es wagen dürfen, ihm so viele Stunden abzuverlangen? Alle Sünden fallen mir bei!
    Aber auch Einsteins Duldsamkeit findet eine Grenze, und diese ist wesentlich dort gezogen, wo die »Gesellschaft« beginnt, ich meine die zweckhafte Anhäufung von Personen im Salon, die gesellschaftliche Veranstaltung, zu der man geladen wird, um gesehen zu werden und mit dabei gewesen zu sein. Die Vorstellung der Feierlichkeit mit der Aussicht in den Konvergenzpunkt der Blicke gerückt zu werden, ist ihm ein Greuel. Unterliegt er im seltenen Ausnahmsfall dem Zwange, so wird die Korona die Anwesenheit des »Tafelaufsatzes« nicht mit ungemischter Freude wahrnehmen; und man braucht kein Gedankenleser zu sein, um ihm vom Gesicht den ungestümen Wunsch abzulesen: Nur wieder fort!
    Um so behaglicher fühlt er sich im engen Kreise der Freunde, die ihm entgegen tragen, woran ihm mehr liegt, als an der Bewunderung: Liebe, Herzensverständnis für die Güte seines Menschentums. Wie man ihn haben will, so hat man ihn. Ihm wird wohl, wenn er den Doctor profundus vergessen lassen kann, um sich auf den Ton der gemütlichen, anregenden Unterhaltung zu stimmen. Meister in der Kunst des Zuhörens, zeigt er sich dem Widerspruch zugänglich, unterstreicht er selbst, wo es nur angeht, die Argumente des Gesprächsgegners. Audiatur et altera pars! Auch hierin zeigt sich die altruistische Reinheit seiner Persönlichkeit, der es Freude verursacht, wenn er aus der gegenteiligen Meinung den berechtigten Kern herausschält. Hier entwickelt er auch eine Eigenschaft, die man sonst beim abstrakten Denker wohl zuletzt vermutet: einen Humor, der die ganze Skala vom zarten Lächeln bis zum schallenden Gelächter durchläuft und sich bis zum schlagenden Witz steigert. Es kann sich ereignen, daß der Gesprächsanlaß seinen Zorn hervorlockt, zumal in politischer Debatte, in Erinnerung an militaristische, feudale Mißstände. Dann sprudelt er auf, temperamentvoll gegen das System, sarkastisch gegen Persönlichkeiten, ein lachender Philosoph, der grimmig verspottend den Quell verjährten Hasses aufzeigt, um sich sogleich wieder zu froher Zukunftsaussicht zu schwingen.
    Schade, daß die von ihm in losem Fluß angeschlagenen Motive nicht phonographisch festzuhalten sind. Sie würden eine, hübsche Ergänzung zu den hier vorliegenden Gesprächsaufzeichnungen liefern. Er selbst denkt natürlich nicht daran, die Eingebungen der Minute in literarisch feste Form zu bringen. Was er schreibt, bewegt sich in anderen Regionen, ist nach seinem eigenen Ausdruck Produkt »dickflüssiger Tinte«. Sehr begreiflich, denn was er als Wissenschaftler zu
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