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Einstein - Einblicke in Seine Gedankenwelt

Einstein - Einblicke in Seine Gedankenwelt

Titel: Einstein - Einblicke in Seine Gedankenwelt
Autoren: Alexander Moszkowski
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nicht, daß auf der Tafel seiner Empfindungen auch lebhafte Einsprüche verzeichnet stehen; er nimmt das eigentlich Moderne als eine interessante Begebenheit und behält sich im einzelnen verschiedene Grade der Abneigung vor, bis zur vollen Aversion. Der Besuch eines Wagnerschen Bühnenwerks kostet ihn einen Entschluß, und wenn er ihn sich abringt, so bringt er das Leitmotiv Meister Eckhardt's mit: die Wollust der Kreaturen ist gemenget mit Bitterkeit. Im allgemeinen scheint er etwa auf den Standpunkt Rossini's zu stehen: Meister Wagner bietet wundervolle Momente – und schauervolle Viertelstunden. Ich brauche wohl kaum hinzuzufügen, daß ich selbst, der ich mich als Ultra-Wagnerianer bekenne, in meinen Gesprächen mit Einstein niemals darauf lossteuerte, Meinung gegen Meinung durchzufechten; denn ich bin tief durchdrungen davon, daß die Begriffe Richtig und Falsch hier gar keine Stätte finden, und daß jede tonkünstlerische Wertung nichts anderes darstellt, als eine auf das eigene Naturell bezogene, durchaus egozentrische, also ganz belanglose Zufälligkeit. –
    Einstein betätigt sich auch ausübend in der Musik und hat sich, ohne auf höhere Grade der Leistung Anspruch zu machen,zu einem ganz ansehnlichen Geiger entwickelt. Ich hörte von ihm unter andern die Wiedergabe des Violinparts in einer Brahmsschen Sonate, welche den Rang des Konzertfähigen nahezu streifte; er verfügt über schöne Tongebung, trägt Seele in den Ausdruck und weiß sich mit den technischen Schwierigkeiten abzufinden. Unter den Großmeistern des Faches, die auf ihn persönlich gewirkt haben, behauptet Joachim den obersten Platz, er schwelgt noch heute in der Erinnerung an dessen Wiedergabe der zehnten Beethoven'schen Sonate und der Bach'schen Chiaconne. Er selbst pflegt dieses Stück in eigener Ausübung, zu der ihn die Reinheit und Sicherheit seines mehrgriffigen Spiels befähigen. Wer es gut trifft – mir war dieser Vorzug noch nicht beschieden –, könnte Einstein auch bei pianistischen Studien belauschen. Wie er mir vertraute, ist ihm das Phantasieren auf dem Flügel geradezu ein Lebensbedürfnis. Jede Reise, die ihn auf Zeit vom Instrument entfernt, erzeugt in ihm ein Klavier-Heimweh, bei jeder Heimkehr wirft er sich sehnsüchtig auf die Tastatur, um sich von der Bürde seiner inneren Klangerlebnisse in Improvisationen zu entladen.
    Für das Konzerttreiben, wie es sich in mondänen Veranstaltungen mit Hervorkehrung der Bravour kundgibt, hat er nicht viel übrig, insonderheit hält er sich frei von der Verhimmelung der Meister vom Taktstock, die er nur als Interpreten, nicht als Virtuosen auf dem orchestralen Instrument gelten läßt. Er präzisiert dies mit dem Wort: »Der Dirigent soll im Schatten bleiben!« Ich glaube, am liebsten ließe er sich den Klang ohne persönliche und materielle Vermittler zuführen, aus der Luft, aus dem Raume. Ich glaube ferner, daß ein unergründlicher Zusammenhang besteht zwischen seinem musikalischen Trieb und seiner Forschernatur. Denn das Ohr – das wissen wir durch Mach – ist das eigentlich raumempfindende Organ, und so mögen sich im Ohr des Raumforschers Dinge abspielen, die noch eine andere Bedeutung haben, als die in Noten darstellbare Musik. Ich bezweifle sehr stark, ob in Einsteins klingenden Monologen Spuren kompositorischer Gestaltungsfähigkeit vorkommen; aber vielleicht enthalten sie Proben einer Kunst, für die erst die Ästhetik einer fernen Zukunft den Namen finden wird. – –
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    Im Punkt der schönen Literatur, ja überhaupt des nicht fachwissenschaftlichen großen Schrifttums, ist aus Einstein nicht viel herauszuholen; nur selten lenkt er aus eigenem Antrieb das Gespräch darauf, und noch seltener bricht bei ihm die Begeisterunghervor, die sich an einer Herzenssache entzündet. Er beschränkt sich auf kurze, aphoristisch hingestellte Bemerkungen und gibt hin und wieder zu verstehen, daß er sich ein Dasein ohne Literatur allenfalls vorzustellen vermöge. Die Anzahl der von ihm nicht gelesenen Romane, Erzählungen, Dichtwerke ist Legion, und all die Schöngeistereien, die sich in historischer Betrachtung und Kritik um sie lagern, hat seine Teilnahme nur flüchtig gestreift.
    Ich habe nie wahrgenommen, daß der Verheißungsblick, den irgend ein neues Unterhaltungsbuch aussendet, ihn irgendwie angelockt hätte. Gerät es in seine Hand, so legt er es zum Übrigen. Ich mußte bisweilen an den Khalifen Omar denken: »Steht in dem Buch dasselbe wie im Koran, so ist es
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