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Einstein - Einblicke in Seine Gedankenwelt

Einstein - Einblicke in Seine Gedankenwelt

Titel: Einstein - Einblicke in Seine Gedankenwelt
Autoren: Alexander Moszkowski
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Verlust nicht sonderlich nachtrauern, wenn sie aus der Kulturentwickelung verschwände; wofür ja gewisse Anzeichen vorhanden sind. Ich habe diese Anzeichen in anderen Schriften beschrieben (so in meiner »Kunst in 1000 Jahren«) und stehe auf dem Standpunkt, daß die letzten Ausläufer der Malerei im Expressionismus und kubistischen Futurismus wesentlich die letzten Krämpfe der sterbenden Flächenkunst bedeuten. Aber auch die Wahrzeichen vormaliger Blüte beginnen für uns zu verblassen, und Einstein wird nicht der einzige sein, der sie, etwa der Musik gegenüber, in eine Unterschicht der glückspendenden Offenbarungen verweist. Er ist nur aufrichtiger, als viele andere, wenn er ganz treuherzig bekennt, daß er sich ein Leben ohne kunstmalerische Sensationen als ein keineswegs rettungslos verarmtes vorzustellen vermöge. Vor der Skulptur dagegenverbeugt er sich, und die Baukunst ist ihm eine Göttin. Wiederum ist es die elementare Andacht, die ihn überfällt, wenn die Erinnerung ihm das Himmelanstrebende vor Augen bringt: die gothischen Dome! Goethe und Schlegel haben die Architektur als gefrorene Musik bezeichnet, und dieses Bild ist ihm gegenwärtig, in der Gothik als einer erstarrten Bach'schen Musik. Wer da will, kann den spezifischen Eindruck auch noch anders analysieren, auf die Grundelemente hin, in denen sich das Wesen der Sache als Stütze und Last und als Überwindung der Schwerkraft zu erkennen gibt. Für einen in Mechanik arbeitenden Geist, der die Züge und Drücke der Natur in sich selbst verspürt, ist die Baukunst eine in Schönheit verwandelte Statik und Dynamik, ein sinnberauschendes Abbild seiner eigenen Wissenschaft. – – –
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    Mancherlei hat er mir von seinen Reisen erzählt, und diese Berichte waren vornehmlich auf den Grundton der Absichtslosigkeit gestimmt. Der Begriff der Sehenswürdigkeit im touristischen Sinne scheidet für ihn aus, und den Dingen, die im Baedeker mit zwei Sternchen angepriesen werden, jagt er nicht nach. Die Hochromantik der Schweiz, deren Lockungen ihm in leichter Erreichbarkeit so nahe lagen, hat ihn niemals in ihren Bann gezwungen, von den tiefgründigen Schauernissen der Gletscher- und Zackenwelt hält er sich fern. Seine Landschaftsbegeisterung geht konform mit dem Barometer: je höher hinauf, desto stärker fällt sie. In einfachem Kontakt mit der Natur bevorzugt er das Mittelgebirge, den Meeresstrand und die weite Fläche, während die glanzvollen Panoramalinien, wie die des Vierwaldstätter Sees, ihn nicht in Ekstase versetzen. Unnötig, zu betonen, daß er sich unterwegs nicht auf den Stil der Grand-Palace-Hotels einrichtet; eher wird es stimmen, wenn man sich ihn als Vaganten vorstellt, der zeit- und ziellos dahinschlendert, auf Wanderburschen-Herrlichkeit märchenhaft abgestimmt, unbewußt hingegeben der Regel des alten Philander: Geh' steten Schritt, nehm' nicht viel mit, tret an am frühen Morgen, und lasse heim die Sorgen!
    Soll ich die Liste der Leidenschaften und Liebhabereien hinschreiben, die ihm fremd sind? Sie würde sehr länglich ausfallen, und ich komme kürzer zum Ziele, wenn ich seine sportlichen Neigungen mit Null beziffere. Ich hatte ihn einmal im Verdacht des Wassersports, da ich von einigen Segelpartien erfuhr, an denen er teilnahm. Allein, es war nichts damit; er segelt wie er wandert, absichtslos, träumend, uninteressiert für das, was dem Segelklubisten als »Leistung« vorschwebt. Auf der Negativseite seiner Sportgelüste steht sogar das Schachspiel, das ja sonst auf mathematisch gerichtete Naturen starke Anziehung ausübt. Die besondere Kombinatorik dieser geistreichen Übung hat ihn nie gereizt, die Schachwelt ist ihm terra incognita geblieben. Ebensowenig betätigt er irgendwelchen Sammeltrieb, nicht einmal den der Bibliophilie. Selten oder nie habe ich einen Gelehrten angetroffen, der auf den Eigenbesitz zahlreicher und wertvoller Bücher so geringen Wert gelegt hätte. Die Ansage läßt sich dahin erweitern, daß er am Besitz als solchem überhaupt keine Freude empfindet; er sagt es, und seine ganze Lebenshaltung beweist es. In der Tiefe seines freundlichen Hedonismus finde ich einen Zug der Resignation, ich möchte sagen mönchischer Askese. Nie verläßt ihn das Gefühl, auf dieser Welt nur ein Besuch zu sein.
    Ich weiß nicht, ob Einstein sein Lebenswerk innerhalb dieses Besuches für vollendbar hält. Jedenfalls trifft er keine Veranstaltungen, um durch scharfen Verfolg eines unverrückbaren Arbeitsprogramms dem Tag
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