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Einmal auf der Welt. Und dann so

Einmal auf der Welt. Und dann so

Titel: Einmal auf der Welt. Und dann so
Autoren: Arnold Stadler
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mir war. Dieser Pelzmantel, in den gehüllt sie auf Unglauben stieß, als sie in der Mensa und Cafeteria der Universität agitieren wollte, von den Taten der Kommunisten Roms berichten (die Ewige Stadt war damals offiziell kommunistisch) wollte und auch noch mit mir nach Stammheim fahren ... Man hatte im Fernsehen und in der Presse gemeldet, Ulrike Meinhof habe sich gerade umgebracht.
    Mit Blumen nach Stammheim fahren? Ich sagte ihr, dass mir dies nicht möglich sei, dass ich dies weder konnte noch wollte. Da schlich sich Verachtung ein für mein Leben. Sie zog sich von mir zurück.
    Schon in der Umgebung Roms, in manchem Partisanenlokal, wo die Partisanenlieder abgesungen wurden wie in Bayern die Weißwurstlieder der Reihe nach, waren Zweifel an meinem Rot aufgekommen. Höchstens rosa, niemals rossa, hieß es. Doch ich leugnete, wie Petrus. Der Onkel wusste von alledem nichts; und was war es schon: Jeder Bischof in Italien, der etwas auf sich hielt, hatte eine kommunistische Nichte, das heißt eine Verwandte oder Bekannte, die Le ceneri di Gramsci las, die die Partisanenlieder liebte, und einen Mann, mit dem zusammen sie Addio Lugano bella sang, in der Partei war und auf die Bücher von Feltrinelli hereinfiel, Addio Lugano bella sang, und dabei blieb es. Auch ich liebte diese Lieder und sang manchen Abend auf dem Monteverde nuovo (deutsch: Neu-Grünberg) mit, und dabei blieb es. Es konnte vorkommen, dass wir bei unserem Wein und unserer Jugend noch zum Petersplatz hinunterfuhren (mit Giannas DueTscheWu) und zum stets erleuchteten Papstfenster hinauffluchten. (Das war die Kehrseite von Franz Sales und all seinem Gepränge, die Kehrseite von mir.) Das war Petersplatzfolklore, mehr nicht. Ebenso die Pläne, die wir, zu diesem Fenster hinaufschielend, fassten ... Alles nur Theorie, Unschuld der Jugend, Petersplatzfolklore.
    Im Grunde waren wir nur für Melodien anfällig.
    Wie ging es mit Gianna weiter?
    Die kleine Ulja dürfte längst ausgeflogen sein. Und ihr Mann? Ich hörte, dass sie in der Immobilienbranche tätig gewesen sein sollen und möglicherweise immer noch sind. Ich weiß nur, dass sie die Villa von Mario Lanzas Sohn Mario Lanza gekauft haben, Konkursmasse, fünfzehn Bäder, Carrara-Marmor etc. Da habe ich die beiden noch einmal besucht. Mir wurde eines dieser Zimmer zugewiesen. Das war schon in der postkommunistischen Ära von Gianna, Roberto und Ulja. Wir sangen unsere Lieder nicht mehr. Dafür wurden Pläne alternativen Lebens entwickelt. Das erste rein biologische Hotel Italiens ... oder auch eine Schönheitsfarm, ich weiß nicht mehr.
    Das alles lag nun auch schon eine Ewigkeit und drei Tage zurück, eine Geschichte, die bald nach der Mondlandung begann.
    Gianna, kannst du mich hören? Siehst du, unsere Geschichte hat auf fünf Seiten Platz. Ich grüße dich, Gianna.
     
    Damals in Rom ... als ich noch Auslauf hatte und Jahre! Ich wusste ja noch nicht, dass sich nach dem Prinzip Zehn kleine Negerlein die Welt veränderte, meine Welt. Jedes Jahr fehlte mindestens einer oder auch gleich mehrere. Aber ich merkte es nicht, denn das Schicksal ist gnädig und vertuscht vorerst seine Grausamkeit. Sodass ich es weise nannte (und in Jahresschlussdankandachten herumsaß, zu danken dafür, dass es nicht mich erwischt hatte). Tatsächlich ist es hart, härter als der Zahn der Bisamratte, und lässt nicht mit sich scherzen. Es vertuscht sich bis zuletzt. Wir sollen nichts von ihm wissen, bis wir gemeint sind. »Ein gutes neues Jahr, ein gesegnetes!«, wünschte mir Franz Sales im Jahr, als ich Rom verließ. Er wusste es noch nicht. Ich auch nicht. Zusammen begannen wir das Jahr im Leau vive. Jetzt ist auch Franz Sales Obernosterer dem Schicksal anheimgefallen. Es gibt ihn nicht mehr, ungeachtet dessen, ob er noch lebt oder nicht. Er wird noch eine Zeit lang in meiner Erinnerung fortbestehen.
    Das Schicksal war damals auch weise und klug, denn was an einer Stelle an Menschen von mir fortgenommen wurde, wurde an anderer Stelle wieder aufgefüllt. 1960 war Kindergartenschwester Maria Radigundis aus meinem Leben verschwunden; und mit ihr war auch meine erste Liebe genommen worden. Aber im selben Jahr schneite es schon meine ersten Schulfreunde, mit denen ich Buchstaben und Zahlen fürs Leben von einer Tafel abschrieb, in mein Leben, und blieben eine Zeit, ein paar Winter, und ich stellte mich als Muttermal, als Linkshänder, als Sprachfehler, als ein Kind, das immer noch in die Hose machte, heraus. Sie verschwanden
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