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Einmal auf der Welt. Und dann so

Einmal auf der Welt. Und dann so

Titel: Einmal auf der Welt. Und dann so
Autoren: Arnold Stadler
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konnte einen Blick hineinwerfen ... Meine zweite Heimat... Welche Sehnsucht? Von hier aus der Kommunionausflug, führte nach Steinhausen, zur schönsten Dorfkirche der Welt, was sage ich: in den Himmel. (Ich darf doch gegen Ende etwas übertreiben?) Es war am Tag nach der ersten heiligen Kommunion. Über Steinhausen habe ich den Himmel gesehen, in seinem Licht sah ich das Licht, ich hörte die Engel singen. Sie sangen: Cum Sancto Spiritu in Gloria Dei Patris, Kommt ein Vogel geflogen (setzt sich nieder auf mein Fuß), La Paloma (si a tu ventana llega una paloma, trátala con cariño que es mi persona), Reloj (no marque las horas), El día que mi quieras, La Mer von Charles Trenet und O Sole Mio, so schön wie Massimo Ranieri und Come Prima von Iva Zanicchi. Und zuletzt, zuletzt
If 
the sun should tumble from the sky, genau wie Timi Yuro es sang. Mein Schutzengel war auch da, sang mit.
    Erinnerung, Advocatus Diaboli meiner Gegenwart: Es war doch Gesang und Licht und oben?
    Wir kehrten zurück. Auch im Bus wurde noch gesungen, Kinderlieder, wenn die bunten Fahnen wehen. Aber dann näherten wir uns dem unvermeidlichen Wald, hinter dem mein Leben lag.
    Ende des Kommunionausflugs.
    Ich war einmal im Himmel, ich weiß noch. Die Erinnerung täuscht, betrügt, betrügt mich nicht, ist langmütig, gütig, ereifert sich nicht, prahlt nicht, bläht sich nicht auf, handelt nicht ungehörig, sucht nicht ihren Vorteil, lässt sich nicht zum Zorn reizen, trägt das Böse nicht nach, freut sich nicht über das Unrecht, sondern an der Wahrheit, erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, hält allem stand. Die Erinnerung hört niemals auf.
    Jetzt erkenne ich unvollkommen, dann aber werde ich durch und durch erkennen, so wie ich auch durch und durch erkannt worden bin. Für jetzt bleiben: Glaube, Hoffnung, Erinnerung, diese drei, doch das größte ist die Erinnerung: 36 x 12 x 10, meine Wände, die Wände meiner Erinnerung, aufgebaut vom Vater meiner Urururgroßmutter nach dem Brand von 1773, schöner als je, in der Mitte ein Kachelofen, lavendelblau, meine Erinnerung, mein Hund, meine Sau, mein Leben, mein Schmerz, mein Grundriss.
    Schluss mit den Apologien!
     
In jener Nacht
     
    Endlich war es so weit. Unwiderruflich stand es nun fest, das Ende des Hauses mit dem Schmerz als Grundriss. Bantle, der nun schon seit einer Ewigkeit und drei Tagen als Bankdirektor lebte, hatte vor geraumer Zeit aufgehört, sich nach dem Zahlungsziel zu erkundigen, und fristgerecht den Antrag auf Zwangsversteigerung eingereicht.
     
    In jener Nacht, bevor ich verraten wurde, versteckte ich mich auf dem Dachboden über dem Saustall. Er war niemals abgesperrt gewesen. Ich kannte den Handgriff, mit dem die Tür aufging, und so stand ich noch einmal mitten in meiner Vergangenheit. Verkleidet. Wäre ich aber aufgestöbert worden. Der Leihwagen mit dem fremden Kennzeichen stand oben beim Friedhof. Bei Nacht, so war ich zurückgekehrt, ich hatte wenigstens eine Taschenlampe bei mir. Am anderen Morgen sollte die Versteigerung sein, und von hier würde ich davon am meisten sehen. Um alles zu sehen, war ich hierhergekommen. Auf der einen Seite eine Wand mit altem Holz, verstaubten Reisigbüscheln, auf der anderen eine schießschartengroße Ritze für das Licht. Es war nicht viel anders als damals, als wir hier Doktor spielten. Ich sah: Niemand war hier gewesen während der Zeit, als das Anwesen zur allgemeinen Besichtigung offenstand. Bei aller Neugier meiner Menschen von einst: niemand. Da igelte ich mich in meinen Schlafsack ein und versuchte zu schlafen.
    Am Morgen wurde ich geweckt von den Geräuschen Schaulustiger, die sich, wie ich durch meine Schießscharte sehen konnte, mit Campingstühlen auf dem Hof eingerichtet hatten. Ich kürze ab -
    Ich hörte den Hammer des Versteigerers, beim fahrbaren Teil angekommen, dem Mobiliar, der Kutsche, der alten Dreschmaschine ... Es war eine unflätige Stimme, die Zahlen ausrief, nicht anders als in der Meßkircher Heidegger- und Viehhalle, möglicherweise einer von damals, ein Württemberger, das hörte ich. Möglicherweise sogar Heidegger selbst, noch ein weiterer Vetter, der als Vieh-, Ferkel- und Immobilienhändler auf der Rauen Alb lebte.
    Meine Vergangenheit war zu einem Hammer- und Zahlenspiel geworden, zu einer Summe - einer beträchtlichen Summe, die sich nur einer mit entsprechendem Kapital leisten konnte. Und ich hätte auch noch sehen können, wie sie uns diese Summe neideten. Sie dachten wohl, meine
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