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Einmal auf der Welt. Und dann so

Einmal auf der Welt. Und dann so

Titel: Einmal auf der Welt. Und dann so
Autoren: Arnold Stadler
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hätte.
     
    Das ist schon fast alles.
    Unser Vieh war ja längst verkauft, abgeholt, geschlachtet, verwurstet, gefressen und so weiter, und so die Schweine. Alles tot, bis auf die Birnbäume, die vor mir waren, die weiterblühen werden, bis auf die Würmer und Mäuse und im Sommer die Schwalben, bis auf die Zugvögel und meine Erinnerungen. Doch statt vernünftiger Erwägungen genialer oder eleganter Lösungen und Strategien stellte sich auch dieses Mal nur die Sehnsucht ein. Mich verlangte nach einer oberschwäbischen Seele, einer warmen Seele, einer Speckseele mit geröstetem Speck, zwischen den beiden Seelenteilen, die meinen Hunger gestillt hätte.
    Mich verlangte nach meinem ersten Hund, den ich sogleich Caro getauft hatte, und ich weiß nicht, ob Fleisch (lat.) oder Geliebter (ital.) oder sonst etwas, ein Kartenmuster. Er wäre ein Leben lang bei mir geblieben, ich weiß. Aber er wurde vor meinen Augen (Kinderaugen) überfahren.
    Auch nach einem Menschen verlangte mich. Doch anstatt ihn zu lieben (und auch nur so, wie ich gekonnt hätte), erzählte ich ihm Geschichten, als ob dies alles zum Lachen wäre. Dabei war ich so gierig, dass ich das Schlüsselloch ausgeleckt hätte (nein: ausleckte), hinter dem sich das Leben vor mir versteckte. Das Bett, das Schlafzimmer, die Welt war abgeschlossen vor mir, und da lagerte eine schwarze Gestalt mit all ihren Löchern.
    Zurück ins Himmelreich!
     
Der Himmel über Steinhausen
     
    Der Herr Pfarrer hat mir gesagt, dass ich Staub bin und dass ich zu Staub zurückkehre.
    Der Herr Doktor hat mir gesagt, ich solle das Leben genießen.
    Unsere Mutter hat uns mit Kraut und Kartoffeln gefüttert, mit Milch und Blut, Fleisch und Blut - es war ein Leben auf einer Kraut- und Kartoffelbasis. Nie gab es Nudeln, und dies, obwohl wir alle am Rand der schwäbischen, sauschwäbischen Welt angesiedelt waren. Unsere Mutter mit ihrem französischen, slowenischen oder jüdischen Namen hatte eine Abneigung gegen Spätzle, und so stand die schwäbische Nudel nicht auf unserem Speise- wie Lebensplan. Unsere Kartoffeln wie Blutwürste wie Erinnerungen wie Menschen verlieren sich wie unsere Reisefreundschaften.
    Dass wir Reisegefährten uns auf Taubenfüßen aus den Augen verlieren!
    Auf unseren Fahrten waren wir ja nie so recht allein: immer hatten wir - wechselnde - Gefährten bei uns, denn fertig kommt von Fahren, fährtig, zur Abfahrt bereit. Inseln müssen herhalten, Erinnerungen. Mit Schubert im Ohr (Deutsch-Verzeichnis 964) stehe ich bald »an Fliederbüschen, blau und rauschbereit«. Wir sind auf dem Rückweg von der Kreuzlinger Tante. Die Saaltochter (das Fräulein, die Bedienung, die Wirtschaft) hat gesagt: »S'duedü'nüt!« Schon in der ersten Kurve muss ich kotzen. So war es immer: »S'duedü'nüt!« - Es tat nichts, machte nichts, tat nicht weh, war halb so schlimm, gleich vorbei. Ich kotzte, und alles war gut. Das kann ich von meiner ersten kleinen Reise an bezeugen, und ich weiß, dass es wahr ist: Schon in der ersten Kurve habe ich mich übergeben.
    Und doch: Unser langer Atem, über Orte, Jahre und Menschen verteilt - Wie sind die Orte von Verwehtem durchjagt! (Benn: Liebe) - wird nie enden. »S'duedü'nüt.« - »Das macht nichts!« - »C'est la vie!«
    Wenn es schon keine Menschen fürs Leben gibt, so gibt es doch Sätze.
    Unsere Reisefreundschaften - Wir wissen ja, dass keine Post kommt, irgendwann keine Post mehr kommt. Dass sie uns zu Hause besuchen, uns im Unterrock am Fenster stehen sehen -Nein! Aber auch jene, mit denen wir gemeinsam aufgebrochen, die neben uns geboren und gewachsen sind, mit denen wir vielleicht sogar eine Zeit lang das Leben geteilt haben, dürften nur unser Ausgehgesicht kennen ... Selbst im Bett (mit ihnen) versuchen wir, eine gute Figur zu machen, bleiben wach, bis sie eingeschlafen sind, damit sie unser Schnarchen nicht hören. So sind wir halt: Wir wollen ankommen bei denen, die uns verlassen-haben-werden. Allein unser Ausgehgesicht, unsere Reisemiene kennen wir voneinander. Wie es bei uns zu Hause ist, wissen wir nicht. Wie wir in unseren eigenen vier Wänden sitzen, in unseren Wänden, wie wir da nach dem Rotweinglas greifen, uns per Fernbedienung, per Knopfdruck in der Welt herumtreiben.
    Reisten wir eine Strecke zusammen, waren wir schon von Anfang an ganz vergnügt. Eine Reise ... Kaum im Auto, kaum über das Schwackenreuter Wäldchen hinaus, hatten wir schon Appetit, waren wir schon dabei, die ersten Salamibrote auszupacken, als ob das
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