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Einkehr zum toedlichen Frieden

Einkehr zum toedlichen Frieden

Titel: Einkehr zum toedlichen Frieden
Autoren: Martina Kempff
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vermeintlichen
Sinn ihres Lebens? Den sie mit niemandem teilen wollte, eifersüchtig für sich behielt?
Dann habe ich sie bestimmt gewaltig enttäuscht.
    In einem Brief bedauerte er, dass dieses Wesen, das »seinen Lenden
entsprungen« war – bei dieser Formulierung wurde mir der Mann sofort unsympathisch –, so fern von ihm aufwuchs.
    Mit dem nächsten Satz wurde er mir allerdings wieder sympathischer.
Er beschwor meine Mutter nämlich, endlich Geld von ihm anzunehmen. Er bestehe
ja nicht mehr darauf, als Erzeuger in den Akten zu erscheinen. Er werde sich
auch an die Abmachung halten, das Geheimnis zu bewahren, obwohl er den Grund
nicht mehr einsehe: Keiner ihrer Verwandten lebe mehr in der Gegend, nachdem
ihre Mutter einen Monat zuvor in Fine Mertes’ Haus für immer friedlich
eingeschlafen sei.
    Ich fragte mich, ob meine Mutter auf diese Weise vom Tod der eigenen
Mutter erfahren hatte.
    »Deine Großmutter ist schon lange tot.«
    Das hatte ich ihr abgenommen, wie so vieles andere auch. Zum
Beispiel ihre sehr vage Andeutung, dass ich das Ergebnis einer Vergewaltigung
sein könnte. Und nicht, wie ich erst jetzt erfuhr, ein Kind der Liebe. Wie
wenig ich meine Mutter doch gekannt habe! Wie schamlos sie mich doch belogen
hat! Aber den Mann, von dem die andere Hälfte meiner Gene stammte, den wollte
ich endlich kennenlernen.
    Ich bewunderte meinen Erzeuger, der über ein Jahrzehnt lang meiner
Mutter unermüdlich Briefe geschrieben hatte, wissend, dass er keine Antwort
erhalten würde. Keine Liebesbriefe hatten mich je so gerührt, obwohl von Liebe
nie die Rede war.
    Ich rief die Auslandsauskunft an und erfuhr, dass es unter der
angegebenen Adresse keinen Karl, sondern nur einen Gerd Christensen gab. Ich
ließ mich verbinden.
    »Hallo?«
    »Guten Abend, ich heiße Katja Klein, rufe aus Berlin an und hätte
gern mit Herrn Karl Christensen gesprochen.«
    »Der ist vor zwei Jahren gestorben«, antwortete eine frostige
Stimme. »Um was geht es?«
    »Um eine sehr persönliche Angelegenheit.«
    »Die hat sich mit seinem Tod ja wohl erledigt. Oder ist es etwas,
was ich wissen sollte? Ich bin sein Sohn.«
    Und ich seine Tochter.
    »Nein, ich glaube nicht. Mein Beileid. Ich hoffe, er hat nicht
gelitten.«
    »Ich wüsste wirklich nicht, was Sie das anginge. Guten Abend.«
    Er legte auf.
    Marcel Langers Augenbrauen sind wieder hochgeschnellt.
    »Also standen Sie doch im Kontakt mit Ihrem Bruder!«
    »Das nenne ich nicht Kontakt, sondern eine Abfuhr«, gebe ich wütend
zurück. Was ist eigentlich in mich gefahren, mein Innenleben vor einem
unausgeschlafenen Polizisten derart auszubreiten? Der nur darauf wartet, dass
ich irgendetwas Belastendes von mir gebe. Der jetzt im Geiste eine Linie von
dieser Abfuhr zu einem Mord zieht.
    Ich erwäge etwas Versöhnliches über den mir unbekannten Bruder
nachzuschieben, werde aber von Langers Kollegen unterbrochen, der soeben den
Gastraum betritt.
    »Eupen ist da.«
    »Die föderale Polizei«, übersetzt Langer für mich,
»Staatsanwaltschaft und Spurensicherung.« Er winkt den Kollegen weg: »Ich komme
gleich. Frau Klein ist mit ihrer Aussage noch nicht fertig.«
    Aussage. Beichte wäre wohl ein besseres Wort gewesen. Nicht
Mord-Beichte. Lebensbeichte. Mit der ich trotz meines Ärgers gleich fortfahre:
»Jedenfalls hat mich mein Vater auf der Grünen Woche in Berlin gesehen. Davon
gibt es sogar einen Schnappschuss.« Ich ziehe das Foto aus meiner Handtasche
und schiebe es Langer hin. Er vertieft sich in den Anblick des von Vater und
Mutter umrahmten pummligen Mädchens unter einem Schild, das Ardenner Schinken,
Bier und Spezialitäten aus der belgischen Eifel anpreist.
    Ich deute auf die zwei prall gefüllten Plastiktüten zu unseren
Füßen. »Hier hat meine Mutter mit unfairen Mitteln nach Essen gejagt«, sage
ich.
    Die Grüne Woche, diese internationale Fressbörse, war unser
Urlaubsersatz und ein bedeutend größerer winterlicher Höhepunkt als Weihnachten.
Wir lebten und sparten in den Sechzigern und Siebzigern darauf hin, uns jeden
Januar durch die Hallen am Funkturm fressen zu können. Deftiges aus deutschen
Landen und Exquisites aus exotischen. Mit einem harmlosen Trick gelang es uns
in meinen frühen Kinderjahren immer wieder, mehr als die kostenlosen Happen zu
ergattern. An besonders verlockenden Ständen ließ ich meine Kulleraugen rollen
und tat, als ob ich nach der ausgestellten Ware greifen wollte. Meine Mutter
schlug mir auf die Finger und schimpfte, worauf ich sofort zu
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