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Einkehr zum toedlichen Frieden

Einkehr zum toedlichen Frieden

Titel: Einkehr zum toedlichen Frieden
Autoren: Martina Kempff
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weinen ansetzte.
In den meisten Fällen zeigten die Standbetreuer ein Herz für Kinder, ermahnten
meine Mutter, nicht so streng zu sein, und überreichten mir irgendein
ausgestelltes Produkt. Dem Foto nach zu urteilen, hat sie sich am Eifelstand
nicht mit Kleinigkeiten abgegeben.
    Sogar jetzt meldet sich bei mir wieder so etwas wie Wut. »Bestimmt
hat meine Mutter meinem Vater gar keine Gelegenheit gegeben, mich zu sehen,
sondern wir sind ihm auf der Grünen Woche rein zufällig begegnet«, sage ich.
    »Seltsam, dass schon damals für die Eifel geworben wurde«, meldet
sich Langer ungläubig. »Man hat sich früher doch geschämt, von hier zu kommen,
aus Preußisch-Sibirien. Sogar Kaiser Wilhelm sagte mal, die Eifel wäre ein
trefflich schönes Land, gäbe es da nicht dieses hinterlistige Bergvölkchen –
und damit meinte er uns.«
    Kaiser Wilhelm? Für wie alt hielt er mich?
    »Anfang der Siebziger war Willy Brandt Bundeskanzler«, belehre ich
ihn und erzähle, wie ich versucht habe, mich in die Situation von Karl
Christensen zu versetzen. Aus der Lektüre der Briefe wusste ich, dass ihm meine
Mutter nie geantwortet hatte. Nur zufällig kreuzte sie seinen Weg auf der
Grünen Woche. Endlich hatte er die einmalige Gelegenheit, seine Tochter zu
verwöhnen. Und immer wieder flehte Karl Christensen meine Mutter an, in die
Eifel zurückzukehren. Wie hatte er sich das denn vorgestellt? Da er auch
ständig seinen Sohn Gerd, »ein schwieriger Junge, ganz anders als andere,
gleichzeitig faul und ehrgeizig und fürs Landleben ungeeignet«, erwähnte, war
er wohl kaum in der Lage, meine Mutter zu einer ehrbaren Frau zu machen. Aber
nie schrieb er von einer anderen Frau, schon gar nicht von seiner eigenen.
Dafür umso mehr von meinem Halbbruder. Später klagte er darüber, dass sich der
Junge so gar nicht für den Hof interessiere und seinen Kopf dauernd in Bücher
stecke, weil die anderen Kinder mit ihm nicht spielen wollten.
    Das Leben sei immer noch recht hart am Fuße der Schneifel,
berichtete er, aber zum Glück gebe es ja die Grenze, und der Schmuggel
verschaffe den meisten Leuten nach wie vor ein zumindest kleines Auskommen.
Obwohl es manchmal schwierig sei, den Kaffeeduft in den Särgen zu halten und
die Schweine mit Korn ruhigzustellen …
    Ich breche meine Erzählung ab. Unklug, so etwas einem Polizisten zu
verraten. Einem schmuggelnden Vater traut man eher eine mordende Tochter zu.
Marcel Langer scheint meine Gedanken zu lesen. Er macht eine wegwerfende
Handbewegung.
    »Längst verjährt«, sagt er, »meine deutschen Verwandten haben damals
auch wegen Schmuggels im Knast gesessen. Wie jeder Bürger der Kehr, der heute
über siebzig ist. Gilt nicht als Makel, die Leute waren hungrig und hatten den
Muckefuck satt. Aber reden Sie doch weiter. Sie haben die Briefe gelesen. Was
geschah dann?«
    »Dann kam der nächste Schicksalsschlag. Wegen einer Fliegerbombe aus
dem Zweiten Weltkrieg wurde ich aus meiner Wohnung vertrieben.«
    »Und haben sich mit dem Geld Ihrer Mutter ein schönes Hotelzimmer
geleistet«, stellt Langer fest.
    »Nein«, erwidere ich. »Als ich auf das Bündel Scheine blickte, die
meine Mutter so mühsam zusammengetragen haben musste, erschien mir der Gedanke
unerträglich, für ein Nachtlager mehr Geld auszugeben, als meine Mutter in
einer Woche verdient hatte. Das Bezirksamt richtete uns Vertriebenen Notlager
in meiner alten Grundschule ein.« Ich seufze. »In der Turnhalle.«
    »Oje«, Langers Betroffenheit klingt echt. »Böse Erinnerungen.«
    »Was wissen Sie schon davon!«
    »Viel«, erwidert Langer leise. »Ich war ein äußerst schmächtiger
Knabe.«
    Zum ersten Mal betrachte ich ihn voller Wohlwollen. »Dann wissen Sie
wirklich Bescheid«, gebe ich zu. Ohne es auszusprechen, hängen wir beide ein
paar Sekunden lang schrecklichen verbindenden Erinnerungen nach. An missglückte
Bodenübungen, an Martergeräte, die uns der Lächerlichkeit preisgegeben hatten,
an die Demütigung, beim Volleyball als Letzte irgendeiner Gruppe zugeordnet zu
werden, die dann laut aufstöhnte.
    »Tja«, breche ich das durchaus angenehme Schweigen, »da lag ich auf
einem Klappbett und sah über mir die hochgezogenen Ringe, an denen ich einst
verzweifelt gestrampelt hatte. Mit dem Gedanken an diese Ringe muss ich
eingeschlafen sein, denn im Traum legten sie sich mir um den Hals und schnürten
mir die Luft ab. Die Turnlehrerin sah streng zu mir auf: ›Ringe um die Wahrheit!‹
Als mich meine Mutter mit dem Schrubberstiel
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