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Einkehr zum toedlichen Frieden

Einkehr zum toedlichen Frieden

Titel: Einkehr zum toedlichen Frieden
Autoren: Martina Kempff
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aus meiner unglücklichen Lage
befreite, plumpste ich zu Boden und wachte auf. Es war fünf Uhr früh, und ich
beschloss, keine Minute länger im Muff meiner eigenen Vergangenheit zu
verweilen. Meine Mutter hatte von Bergen und Wäldern gesungen. Ich brauchte
jetzt einen Ort, an dem ich tief durchatmen konnte. Wo ich mein Leben wieder
selbst in die Hand nehmen konnte. Eine Kehrtwendung war dringend angesagt.
Kehr. Warum nicht Kehr?«
    Plötzlich fällt mir wieder ein, weshalb ich diesem Mann
gegenübersitze. Doch nicht, weil wir in einer Selbsthilfegruppe unsere
Turnstundentraumata aufarbeiten wollen! Wieder wütend über meine
Offenherzigkeit, starre ich den Polizisten an. »Ich wollte nur aus der
Opferrolle der letzten Tage raus – und schwupps, kaum bin ich hier, werde ich
zur Täterin abgestempelt.«
    »Bisher hat Sie niemand angeklagt. Dies ist nur eine erste
Vernehmung. Erzählen Sie doch bitte weiter, Frau Klein. Das ist alles sehr
interessant.«
    Ich erwäge kurz, mich noch interessanter zu machen. Ihm zu erzählen,
dass ich noch vor drei Wochen in Paris die Gattin des französischen
Staatspräsidenten nach ihrem Lieblingsparfüm befragt habe. Und von meiner
Begegnung mit Sophia Loren, die mir die gesundheitlich unbedenklichsten
Methoden des Fettabsaugens nahegelegt hatte. Na ja … Diesem ungebügelten
Hungerhaken von Dorfpolizisten mit den Modderrändern an den Schuhen könnte ich
so manche selbst erlebte Geschichte aus der Welt der Reichen, Schönen und
Mächtigen erzählen. Mir schwant jedoch, dass ihn dies wenig beeindrucken,
sondern mich eher noch verdächtiger machen könnte. Zumal ich jetzt keine
Hochglanz-Zeitschrift mehr im Rücken habe, die mir bis vor wenigen Tagen eine
globale Identität und damit Schutz vor banaler Belästigung verliehen hat. Katja
Klein ist jetzt nur noch eine weitere Arbeitslose der Republik. Nichts ist
armseliger als der Versuch, mit verwelkten Lorbeeren zu punkten. Also halte ich
mich an die Story meiner Ankunft auf der Kehr.
    »Am frühen Morgen ließ ich Berlin hinter mir und reiste meinem
einzigen noch lebenden Familienmitglied entgegen – das von meiner Existenz
wahrscheinlich gar nichts wusste«, fahre ich mit besonderer Betonung des
letzten Satzteils fort.
    »Ohne noch mal anzurufen?«
    »Wo denken Sie hin!«
    Sollte er mir die Tür vor der Nase zuschlagen, wollte ich einfach
Urlaub in einer Gegend mit gesunder Luft machen, sage ich, und darüber
nachdenken, was jetzt aus mir werden sollte.
    Das konnte ich am besten beim Essen. Also hielt ich an einer
Autobahn-Raststätte an und ließ mir auf die Kohlroulade einen Matjeshering
legen. Diese Komposition bedeckte ich mit einer Mischung aus Tütchenmayonnaise
und Aprikosenkompott, um dem Fleisch die Trockenheit und dem Hering das Ranzige
zu nehmen. Unter den entsetzten Blicken der Erwachsenen und den begeisterten
der Kinder bestellte ich noch eine Brühwurst zum Mitnehmen.
    Da erwog ich zum ersten Mal, Berlin für immer zu verlassen und
irgendwo ganz neu durchzustarten. Dieser Gedanke kam mir weniger abenteuerlich
vor als der, mir in einer billigen Berliner Bude ständig vor Augen halten zu
müssen, was ich alles verloren hatte.
    Wenn schon Suppenküche, dann lieber in der Fremde. Dort werden die
Blessuren des Welteroberers geachtet, die des Einheimischen geächtet. Aber so
weit war ich noch lange nicht. Was sprach dagegen, sich in meinem Alter eine
neue Existenz aufzubauen? Bei näherer Betrachtung derartig viel, dass mir fast
schwarz vor Augen wurde. Aber vielleicht lag das auch an der kurzen Nacht und
der schweren Mahlzeit.
    Die Welt erobern kann ich auch später, dachte ich, als ich kurz
hinter Köln in meinem Wagen die Rückenlehne verstellte und die Augen schloss.
    Mit schmerzenden Knochen wachte ich ein paar Stunden später auf,
froh, dass die momentan zu erobernde Welt in der Eifel und somit nicht mehr
allzu weit entfernt lag. In Blankenheim endete die Autobahn, und so fuhr ich
über die B51 durch eine
dünn besiedelte Landschaft mit sanften Hügeln, großartigen Aussichten, kleinen
Gehöften und vielen Wäldern. Ich wurde von unzähligen Wagen mit gelben
Kennzeichen überholt, parkte in einer Einbuchtung und vergewisserte mich auf
der Karte, dass ich weder in Holland noch in Luxemburg gelandet war. Kronenburg
hieß der nächste Ort, ganz in der Nähe meines Ziels. Fast hätte ich die
Ausfahrt verpasst, die gleich hinter einer Biegung lag. Eine schmale
kurvenreiche Straße erforderte besondere Aufmerksamkeit,
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