Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Einige werden überleben

Einige werden überleben

Titel: Einige werden überleben
Autoren: Algis Budrys
Vom Netzwerk:
aufhängte.
    Es hieß, Berendtsen sei seit dreißig Jahren tot. Wer für die Schießerei damals verantwortlich gewesen war, das Volk oder die Politiker, das wußte keiner so recht. Fest stand nur, daß das Volk seinen Leichnam verstümmelt hatte. Und sechs Monate später hatten die Massen jene Männer umgebracht, die nach ihrer Ansicht Berendtsen umgebracht hatten. So sah die Sache also aus – man konnte nur versuchen, dem Ganzen einen Sinn abzugewinnen in einer Welt, in der Kleinstädte ohne Maschinen und Großstädte mit kaum mehr als dem allernotwendigsten Lebensmittelnachschub auskommen mußten. In einer Welt, in der es den Städter sein Leben kostete, wenn er sich allein in das Farmgebiet vorwagte.
    Einen Sinn gab es nicht. Der Name dieses Mannes war einfach ein Zauberwort, und das war alles.
    Custis schüttelte in seiner Kuppel den Kopf. Wenn es ihm nicht gelingen würde, diesen Geist für Henley zu finden, würde er aller Wahrscheinlichkeit nach nie sein Geld bekommen, ganz gleich, ob er einen Vertrag hatte oder nicht. Seinen Kampfwagen wenigstens hatte er für den Auftrag überholt bekommen. Custis überlegte sich mürrisch, ob er dem politischen Offizier gleich hier die Kehle durchschneiden und dieses Vorkommnis als Folge eines Angriffs von Gesetzlosen melden sollte. Oder vielleicht sollte er ihm die Kehle durchschneiden und sich überhaupt nicht zurückmelden.
    Der Kampfwagen befand sich jetzt an einem Ort, der von Chicago weit entfernt war. Das einzige Trinkwasser an Bord war eine Schlammbrühe, die sie aus einem Bach geschöpft hatten, der im Verlauf des Sommers zu einem Rinnsal geworden war. Der Proviant bestand aus Dosen aus Armeebeständen, von denen manche, mit neuer Beschriftung, aus der Zeit vor der Seuche stammten. In dem Wagen stank es nach ihren Kleidern. Sie hatten sie seit drei Wochen nicht mehr ausgezogen. Die Sommersonne brannte den ganzen langen Tag erbarmungslos auf sie herab, und die Hitze, die der komplizierte Antriebsprozeß von dem Atomreaktor über die Dampfturbinen bis zu den Elektromotoren abstrahlte, die Treibräder und Zahnkränze drehten, war nahezu unerträglich.
    Henley konnte sich gerade noch auf den Beinen halten. Für Custis und seine Besatzung lag ein anderes Leben zu weit in der Vergangenheit, um es überhaupt in Betracht zu ziehen. Eine lange Fahrt war es trotzdem gewesen. Sie hatten sich schon anstrengen müssen, um es von den erbeuteten Gebieten am Stadtrand von Chicago, die spärlich und ungeübt bebaut wurden, bis hierher zu schaffen, und der schlimmste Teil des Auftrags lag noch vor ihnen. Vielleicht wäre es leichter, selbst Bandit zu werden.
    Aber das würde heißen, daß er von der Stadt abgeschnitten wäre, oder zumindest so lange, bis die nächste Republik den Kampfwagen brauchte. Das wäre Custis gleichgültig gewesen, wenn nur Öl, Munition, Ersatzrohre für seine Geschütze, Brennstäbe für den Reaktor und Verpflegung für seine Mannschaft auf der Ebene so dicht wie das Gras wachsen würden.
    „Kurs 340, Lew“, wies er seinen Fahrer durch das Kommandantenmikrophon an. Der Wagen schlug einen leichten Haken auf seinen Ketten und nahm einen direkteren Kurs auf die nächsten der dunklen Gebirgsausläufer.
    Da kann man eben nichts machen, dachte Joe Custis. Was auch immer man lieber machen würde – man mußte hinter einem Geist herjagen.
    Er sah über das Gras zurück, das sich in Schwaden zerdrückter, verfilzter Halme endlos hinter dem Wagen erstreckte. Er wußte, daß es hier und da Klümpchen aus Öl und getrocknetem Schlamm gab, die von der Unterseite des Kampfwagens abgefallen waren. Da und dort lagen leere Konservendosen, die sie weggeworfen hatten. Ihre groben Papieretiketten lösten sich schon von dem fleckigen Zinkblech oder der Emaillierung ab. Auf dem Weg zurück lagen die Halteplätze entlang der Spur, jeder mit seinen Gräben für die aus dem Wagen ausgebauten Maschinengewehre, mit denen der Umkreis abgesichert wurde. Die Asche der Feuer war kalt. Der Regen verwandelte sie langsam in dunklere Flecken auf der schwarzen Erde. Die MG-Nester verfielen. Wer würde kommen, um diese Stellen zu untersuchen? Welche geduldigen Männer würden aus ihren Verstecken kommen, um nachzusehen, ob irgend etwas Nützliches zurückgelassen worden war, oder um vielleicht einen Hinweis auf das Ziel des Wagens zu finden?
    Solche Männer gab es sogar außerhalb der unabhängigen Kleinstädte und der Grenzen der Großstädte. Verlorene, einsame Jäger, Einzelgänger in
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher