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Einige werden überleben

Einige werden überleben

Titel: Einige werden überleben
Autoren: Algis Budrys
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er im Wald von Indianern umringt, unter deren Füßen Zweige zerbrachen.
    Die Reihe von Schildern führte zu dem Haus, in dem sich Larrys Apartment befand. Die Barrikade am Eingang war weggeräumt, und die Haustür stand offen.
    Obwohl er manchmal hinter den Fenstern verbarrikadierter Häuser Spuren von Bewegungen gesehen hatte, war das die erste offene Barrikade, die er seit Beginn seines Ausflugs gesehen hatte. Er fragte sich, ob die Leute in dem Haus sich zum erstenmal herausgewagt hatten oder schon häufiger draußen gewesen waren. Sie hatten vielleicht die Barrikaden weggeräumt und nach einem Tag oder so wieder aufgestellt. Sie waren natürlich eine Verteidigungsmaßnahme. In den letzten Tagen der Seuche hatten Banden von Kranken, Betrunkenen und Hysterikern die Straßen unsicher gemacht, wann immer die dahinsiechende Polizei nichts mehr gegen sie unternehmen konnte. Matthew Garvin selbst war ebenfalls hysterisch geworden. Er hatte immer wieder gelacht und gerufen: „Jetzt gibt es keinen Krieg mehr!“ Er war von einem Zwang besessen gewesen, auf die Straße zu gehen, sich zu betrinken, etwas zu zerschlagen, auszubrechen und all das zu zerstören, was die Gesellschaft in der Erwartung eines Kriegs aufgebaut hatte: die Hinweisschilder für Luftschutzbunker, die Zeitungsstände, die Fernsehläden, die Kinos, all die Dinge, die jetzt wie Symbole der Verzweiflung wirkten. Auch er wollte jetzt zeigen, daß er die Angst unter der scheinbaren Ruhe erkannt hatte. All das hatte in ihm gebrodelt; wäre er nur ein klein wenig anders gewesen, hätte er ebenfalls die brennende Stadt durchstreift, und man hätte sich auch gegen ihn verbarrikadieren müssen.
    Er ging zögernd die Stufen hinauf, die zur Halle des Apartmenthauses führten, in dem Larry Ruark wohnte. Die Halle und die Treppe waren sauber. Jemand hatte gefegt, gewischt und abgestaubt. Sogar der Messinggriff der Haustür war poliert. In der Halle hing noch ein weiteres Plakat: „Lebendiger Arzt im ersten Stock.“
    Sonst gab es nichts zu sehen und zu hören.
    Er ging leise die Treppe hoch und benutzte nur die Zehenspitzen, um die Stufen zu berühren. Gestern hätte er das nicht getan. Er verstand nicht so recht, warum er es jetzt tat, aber es war der Umgebung angemessen. Er war jung genug, um ein feines Gefühl für seine Umwelt zu entwickeln.
    Larrys Apartment lag direkt oben an der Treppe. Auf einem Schild an der Tür stand: „Arzt – Klopfen und eintreten.“
    Es war tatsächlich Larry. Matthew klopfte an den Türrahmen und stieß die Tür mit derselben Bewegung auf. „Lar…“
    Der dünne, sehnige Arm schlang sich von hinten um seine Kehle. Es war ihm klar, daß es noch einen Augenblick dauern würde, bis ihn sein Feind nach hinten ziehen würde. Dann wäre er hilflos, weil er seine Balance verloren hätte. Er sprang nach oben und durchbrach den Würgegriff zumindest soweit, daß er sich umdrehen konnte, wenn er auch noch von dem Arm umschlungen war. Larry Ruark und er starrten einander an.
    „Ach, du großer Gott!“ flüsterte Larry. Er ließ die Hand mit dem Schlachtermesser sinken.
    Matthew Garvin keuchte. Der Arm hielt ihn noch immer umklammert. Als dann Larry seinen anderen Arm auch noch herabließ, trat Matthew schnell einen Schritt zurück.
    „Matt … du lieber Gott … Mensch, Matt!“ Larry stützte sich gegen die Tür ab und sank dagegen. Er sagte mit runden Augen: „Ich habe jemanden kommen sehen, und da habe ich gedacht – und dann warst du es!“
    Er war völlig ausgemergelt. Sein Haar, schon früher graumeliert, war wirr und struppig. Seine Augenhöhlen sahen aus wie schmutziger blauer Samt, und seine Kleider baumelten verdreckt an seinem knochigen Körper. In Matts Nase wirkte noch immer ihr alter, schimmliger Geruch nach.
    „Larry, was, zum Teufel, ist hier eigentlich los?“
    Larry rieb sich das Gesicht. Das Schlachtermesser hing schief zwischen seinen Fingern.
    „Hör mal, Matt, tut mir leid. Ich habe nicht gewußt, daß du es bist.“
    „… nicht gewußt, daß ich es bin.“
    „Ach, verdammte Scheiße, ich kann nicht reden. Setz dich doch bitte irgendwo hin, Matt. Ich habe … ich brauche nur eine Minute.“
    „In Ordnung“, sagte Matt, aber er setzte sich nicht hin. Das Zimmer war mit einem alten Ledersofa, zwei abgestoßenen Sesseln und einem Kaffeetischchen möbliert, auf dem schmierige Magazine in peinlicher Ordnung ausgelegt waren. Die Spalte zwischen den Vorhängen ließen nur sehr wenig Licht in das Zimmer.
    „Sag
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