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Eines Tages geht der Rabbi

Eines Tages geht der Rabbi

Titel: Eines Tages geht der Rabbi
Autoren: Harry Kemelman
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Zahlung?»
    «Ganz recht. Eine Zahlung, die man nicht der Post oder einem Boten anvertrauen konnte. Und daraufhin habe ich überlegt, was für ein Mensch das sein konnte, der solche nächtlichen Barzahlungen leistet.»
    «Sie meinen – er wurde erpreßt. Aber so was kann jedem mal passieren.»
    «Ja, jeder kann mal erpreßt werden, aber nicht jeder würde in so einem Fall derart klammheimlich zahlen.» Der Rabbi stand auf und begann im Zimmer auf und ab zu gehen. Er sprach jetzt mit dem typisch talmudischen Singsangton, in den er manchmal verfiel. «Ein Arzt konnte es nicht sein. Jeder kann einen Arzt konsultieren, und in diesem Fall wäre es ganz leicht, das Geld unter vier Augen, im Sprechzimmer, zu übergeben. Ein Anwalt kann es auch nicht sein, weil die verschiedensten Leute in seine Praxis kommen, als Mandanten oder als mögliche Zeugen für eine Verhandlung, auf die er sich gerade vorbereitet. Das gleiche gilt für das Büro des Managers, den Laden des Kaufmanns. Der einzige, der möglicherweise sehr darauf achten muß, mit wem er gesehen wird, ist der Politiker, der ein öffentliches Amt bekleidet oder sich um ein solches Amt bewirbt. Selbst wenn der Politiker Anwalt von Beruf ist, kann er nicht jeden Beliebigen in sein Büro kommen lassen. Und als ich in der Zeitung las, daß das Opfer, dieser … wie hieß er noch …»
    «D’Angelo. Tony D’Angelo.»
    «Richtig. Als ich las, daß er in politischen Kreisen in Boston aktiv gewesen war, wußte ich, daß ich auf der richtigen Fährte war. Er bekleidet kein Amt, sonst wäre in dem Artikel davon die Rede gewesen. Selbst wenn er nur ein ganz kleines Licht in einer Regierungsstelle gewesen wäre, hätten sie das hingeschrieben. Aber ‹in politischen Kreisen aktiv› – das deutet auf jemanden hin, der keine offizielle Position hat, der als Vermittler fungiert, als Handlanger eines Politikers, auf einen Mann ohne regelmäßiges Einkommen, den man für Tips, Informationen, Dienstleistungen bezahlt.»
    «Ja, das würde wohl auf D’Angelo zutreffen», meinte Lanigan.
    «Und jetzt», sagte der Rabbi, «mußte ich meine Phantasie zu Hilfe nehmen.»
    «Sie sind gut! Was haben Sie denn vorher gemacht?»
    «Vorher habe ich mich der Logik bedient», meinte der Rabbi verweisend. «Ich sehe D’Angelo im Wagen warten und eine Zigarette nach der anderen rauchen. Und dann fällt ihm ein, daß sie sich vielleicht am anderen Ende der Glen Lane verabredet haben. Deshalb ist er bis zum höchsten Punkt der Straße gegangen. Hätte er sich nur die Beine vertreten wollen, glaube ich kaum, daß er so weit gekommen wäre. Wenn er aber nachsehen wollte, ob sein Partner am anderen Ende der Glen Lane parkte, hätte er bis an den höchsten Punkt und noch ein paar Schritte darüber hinaus gehen müssen, weil die Straße nicht gerade verläuft. Ich sehe Scofield, der ein Bündel Geldscheine bei sich hat, von der High Street in die Glen Lane einbiegen. Vielleicht bemerkt er den Wagen nicht, der in der Schneise steht. Oder er bemerkt ihn, nimmt Gas weg oder hält an, sieht, daß er leer ist und fährt weiter. Wahrscheinlich hatte er das Fernlicht eingeschaltet, es hätte nahegelegen. Er wird langsam gefahren sein, um den Mann nicht zu übersehen, mit dem er verabredet war. Der kommt die Straße herunter. Scofield gibt Gas, um ihm das Geld in die Hand zu drücken und so schnell wie möglich das Weite zu suchen.»
    «Aber hätte er nicht für das Geld irgendwas bekommen, einen belastenden Brief vielleicht oder ein Foto? Dann hätte er nämlich anhalten müssen.»
    «Das glaube ich kaum. Bei dem Toten wurde nichts dergleichen gefunden, und daß Scofield angehalten hätte, um ihn zu durchsuchen, halte ich für sehr unwahrscheinlich. Nein, es muß eine einmalige Zahlung gewesen sein, die er in der Hoffnung leistete, damit sei die Sache ausgestanden.»
    «Na gut. Und dann?»
    «Er merkt, daß seine Scheinwerfer D’Angelo blenden, vielleicht hat D’Angelo die Hand gehoben, um sich vor dem gleißenden Licht zu schützen – und dabei kam Scofield der Gedanke: Wenn du ihn über den Haufen fährst, bist du ihn los und brauchst nicht zu zahlen. Und da hat er Gas gegeben.»
    «Aber es kann trotzdem ein Unfall gewesen sein.»
    «Natürlich, aber da er sich mit ihm an dieser Stelle verabredet hatte, hätte er das nur schwer beweisen können. Ich schätze, daß er nicht einmal angehalten hat, um festzustellen, wie schwer er ihn verletzt hatte. Das wäre zu gefährlich gewesen, denn falls der Mann bei
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