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Eines Tages geht der Rabbi

Eines Tages geht der Rabbi

Titel: Eines Tages geht der Rabbi
Autoren: Harry Kemelman
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Bewußtsein war, hätte er ihn erkannt.»
    «Daß es Scofield war, der ihn über den Haufen gefahren hat, hätte er sowieso gewußt», warf Lanigan ein.
    «Woher? Wie sollte er den Wagen erkennen, da ihn die Scheinwerfer aus der Dunkelheit anstrahlten?»
    «Da haben Sie auch wieder recht.»
    «Aber wenn Scofield wußte, wer es war, wenn er sich mit ihm verabredet hatte – ist das dann nicht Mord?» schaltete Miriam sich ein.
    «Zumindest Totschlag», meinte Lanigan. «Ich weiß nicht, ob wir es beweisen können, und die Verteidigung wird bestimmt versuchen, auf Grund der Miranda-Bestimmungen einen Teil unseres Beweismaterials vom Tisch zu bringen, aber für den District Attorney dürfte der Fall ziemlich klar sein.» Lanigan stand auf. «Wissen Sie, David, es wird mir sehr leid tun, wenn dieser neue Mann Sie verdrängt und Sie hier weggehen.»
    «Nett, daß Sie das sagen, aber ich glaube, noch bleibe ich Ihnen ein Weilchen erhalten.»
    «Wegen dieser Sache?»
    «Ja, wegen dieser Sache.»
    «Hatte Magnuson was mit Scofield zu tun?»
    «Er hat mich gebeten, Scofield und seine Tochter zu trauen. Das war der Grund für den ganzen Ärger.»
    «Und ihr Juden heiratet keine Andersgläubigen, das ist wie bei uns. Allerdings hat es sich bei uns in den letzten Jahren ein bißchen gelockert.»
    «Bei uns nicht.»
    «Darum ging es also?» Er schüttelte bewundernd den Kopf. «Na, da haben Sie aber wirklich Glück gehabt.»
    Der Rabbi lächelte. «Wir glauben auch an das Glück.»
    «Das tut wohl jeder.»
    «Aber bei uns liegen die Dinge ein bißchen anders. Glück und Pech gehören zu unserer positiven Alltagsphilosophie, ja, eigentlich schon zur Religion.»
    «Ja? Wie meinen Sie das?»
    «Wenn ein Mensch krank oder arm oder unglücklich ist, ist er damit in unseren Augen noch nicht schlecht oder sündig, er hat einfach Pech.»
    «Gewiß, aber –»
    «Wenn ich am Sonntagvormittag – oder auch zu anderen Zeiten – den Fernseher einschalte, erzählt mir ein Geistlicher, daß man, wenn man seine Sünden bereut und sein Herz dem Herrn Jesus schenkt, Kummer und Krankheit los ist. Und dazu gibt es meist Aussagen von Leuten, die durch ihre Gebete von schrecklichen Gebrechen geheilt worden sind oder die mit Glücksgütern gesegnet wurden, weil sie sich dem Herrn Jesus schenkten. Das bedeutet natürlich, daß Kummer und Krankheit gewöhnlich aus der Sünde resultieren.»
    «Na ja, das sind diese Fundamentalistensekten», sagte Lanigan mit einer wegwerfenden Handbewegung.
    «Ja, aber auch die katholische Kirche wagt sich neuerdings auf dieses Gebiet. Und wie steht es denn mit den vielen Heiligen, die Sie um Fürbitte angehen? Angeblich beseitigt der Akt des Gebetes mit der dadurch zum Ausdruck gebrachten Reue die Sünde, die Ursache für den jeweiligen Zustand ist. Mir scheint, der grundlegende Unterschied zwischen der katholischen Kirche und den Protestanten in dieser Hinsicht ist, daß in der katholischen Kirche die Arbeit im wesentlichen an die Heiligen delegiert wird. Im Licht der komplizierten Buchhaltung, mit deren Hilfe Sünde und Gnade zum Ausgleich gebracht werden, ist es wohl nur logisch, über sein Endziel – Himmel, Hölle oder Fegefeuer – selbst zu bestimmen. Wir glauben nicht an diese Dinge und können deshalb realistisch sein.»
    «Und wenn man Sie entlassen hätte?» fragte Lanigan.
    «Dann nur deshalb, weil ich Pech gehabt, nicht, weil ich gesündigt oder ein Unrecht begangen hätte.»
    Lanigan griente. «Na, da bin ich aber froh, daß Sie Glück gehabt haben. Glück soll ja ansteckend sein.»

46
    Laura legte den Hörer auf. «Sie haben Jack verhaftet», sagte sie betroffen.
    «Verhaftet? Wer? Was redest du da?» fragte ihr Vater. «Mit wem hast du gesprochen?»
    «Mit seiner Sekretärin, ich habe in seiner Kanzlei angerufen. Wir verstehen uns sehr gut, und sie hat mir erzählt, daß er sich gemeldet hat, weil er verhaftet worden ist und J. Mulcahey – das ist ein älterer Kollege – bitten wollte, zu ihm aufs Polizeirevier von Barnard’s Crossing zu kommen. Mulcahey war noch nicht im Büro, aber da es dringend war, hat sie ihn zu Hause angerufen, und er hat versprochen, sofort hinzufahren. Er ist noch nicht zurück, und jetzt ist es schon fast elf.»
    «Hat sie gesagt, warum er verhaftet worden ist?»
    «Das wußte sie nicht. Ich muß sofort zu ihm.»
    «Nein, Laura, überlaß das mir. Ich bekomme aus der Polizei mehr heraus als du.»
    «Warum?» Sie traute ihrem Vater nicht recht, sie hatte das Gefühl, daß
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