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Eines Tages geht der Rabbi

Eines Tages geht der Rabbi

Titel: Eines Tages geht der Rabbi
Autoren: Harry Kemelman
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einverstanden waren, anderen, die meine Gegner nicht mochten, und wieder anderen – und das war vielleicht die Mehrheit –, die einfach Ärger vermeiden wollten. Es hätte bedeutet, daß sie ohne Rabbi auskommen mußten, bis Ersatz gefunden war, und niemand hätte ihnen garantiert, daß der neue Rabbi besser ist. Aber ein Manager wie Howard Magnuson fängt das natürlich geschickter an. Er zieht erst einen neuen Rabbi an Land, dann beschafft er sich die erforderliche Mehrheit, und das Ganze wird so streng geheimgehalten, daß die Opposition gar nicht erst starten kann.»
    «Und dagegen können Sie gar nichts tun?» fragte Lanigan.
    «Ich weiß nicht, ob ich überhaupt etwas dagegen tun möchte.»
    «Aber–»
    «Nein. Ich kann nicht zulassen, daß ich mit meiner Familie gänzlich auf das Wohlwollen eines einzigen Mannes angewiesen bin. Wenn es so weit kommt, bin ich nicht mehr mein eigener Herr. Dann werde ich mir für den Rest meines Lebens den Kopf darüber zerbrechen müssen, ob das, was ich sage oder tue, ihm gefällt oder nicht. Und so kann ich einfach nicht leben.»
    «Und dieser eine Mann ist Magnuson?»
    «Natürlich.»
    «Aber er kann nicht allein entscheiden. Braucht er nicht eine Mehrheit Ihres Vorstandes?»
    «Ja, aber das dürfte für ihn kein Problem sein. Er ist Wirtschaftsboss und Millionär.»
    «Sie wollen doch nicht behaupten, daß er sie bestechen würde oder daß sie ihm ihre Stimmen verkaufen …»
    «Nicht ihre Stimmen. Aber ihre Seelen. Da braucht ein kleiner Geschäftsmann einen Kredit oder Kontakt zu einem bestimmten Großhändler. Magnuson kann das mit einem Telefongespräch regeln. Oder nehmen wir einen Akademiker, einen Arzt, Zahnarzt oder Anwalt … alle haben sie Aktien. ‹Was meinen Sie, Mr. Magnuson, soll ich verkaufen? Ist an dem Gerücht was dran, daß ABC und XYZ fusionieren?› Und auch wenn man nie einen Gefallen von ihm erbittet – es ist angenehm, einen Millionär im Bekanntenkreis zu haben, und sei es nur, um Freunden damit zu imponieren. Nein, es ist allein sein Werk. Ich weiß, was dahintersteckt. Seine Tochter–»
    Er unterbrach sich, als er einen Wagen vorfahren hörte. «Das muß Jonathan sein. Offenbar hat ihn jemand mitgenommen.»
    Miriam ging mit dem Rabbi zur Tür, Lanigan, ein wenig erstaunt über ihre Unruhe, folgte ihnen.
    «Er hat gesagt, er käme um acht», erklärte Miriam. «Und er hat noch nichts gegessen.»
    In dem Licht, das aus dem Wohnzimmer fiel, sahen sie Scofields pinkfarbenen Wagen mit dem Schild auf dem Dach am Gehsteig stehen. Jonathan stieg aus und ging um den Wagen herum. «Schönen Dank, Mr. Scofield», sagte er zu dem Fahrer.
    «Ich habe dir zu danken.» Scofield fuhr an.
    «Warum kommst du so spät, Jonathan?» fragte Miriam. «Und was hast du mit deiner Hand gemacht?»
    Jonathans rechte Hand war mit einem Taschentuch umwickelt. «Nur ein Kratzer.»
    «Laß mal sehen.»
    «Bloß keine Aufregung, es ist wirklich nur eine Kleinigkeit. Mr. Scofield hat draußen vor seiner Zentrale einen Reifen gewechselt. Mr. Chisholm hatte mich mit Wahlkampfmaterial hingeschickt, das sie angefordert hatten. Da hab ich ihm natürlich geholfen. Ich hab mich wohl gerissen, als ich den Wagenheber aus dem Kofferraum genommen habe, da war nämlich ’ne Menge alter Krempel drin.»
    «Zeig her.»
    «Ach, Ma …» Widerstrebend nahm er das Taschentuch ab.
    «Das ist kein Kratzer, das ist eine Schnittwunde. Du gehst jetzt sofort nach oben und wäschst dir die Hände mit viel Seife und heißem Wasser. Dann tupfst du Jod drauf und klebst ein Pflaster drüber. Danach kannst du in der Küche essen.»
    «Schon gut, aber ich hab keinen Hunger, ich habe zwei Käsebrote gekriegt.»
    «Wie du willst. Oder nimm dir Milch und Kekse.»
    «War das der Wagen, mit dem Scofield sonst auch fährt, oder hat er ihn nur für Wahlkampfzwecke?» fragte der Rabbi, als Jonathan nach oben gepoltert war.
    «Nein, soweit ich weiß, hat er nur den einen.»
    «Aber die Farbe …»
    Lanigan lachte. «Einmalig, nicht?»
    «Dann könnte es das sein», sagte der Rabbi halblaut.
    «Was könnte was sein?» fragte Lanigan ein wenig ungeduldig, während sie wieder ins Wohnzimmer gingen.
    «Der Grund, Kramers Scheinwerfer einzuschlagen und die Scherben zum Unfallort zu bringen», sagte der Rabbi ruhig.
    Lanigan machte große Augen, und Miriam, die aufgestanden war, um abzuräumen, setzte sich wieder. «Wenn Sie auf einer dunklen, einsamen Straße wie der Glen Lane einen Menschen überfahren», fuhr der
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