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Eines Abends in Paris

Eines Abends in Paris

Titel: Eines Abends in Paris
Autoren: Nicolas Barreau
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beglückt in meine Wohnung. Ich stellte sie ins Wasser, und dann setzte ich mich mit dem Telefon auf mein Sofa und wartete auf Solènes Anruf.
    Natürlich war mir klar, dass es eine Weile dauern konnte, bis die Schwestern sich ausgesprochen hatten. Unter Männern wäre so eine Sache mit ein paar kargen Worten und einem Handschlag relativ rasch geregelt gewesen, aber Frauen sind detailversessen und müssen alles immer ganz genau besprechen. Ich versuchte ein bisschen Zeitung zu lesen, merkte aber rasch, dass mich das allgemeine Weltgeschehen nicht im Geringsten interessierte.
    Der Mittag verstrich, der Nachmittag ging vorüber, das Telefon schwieg, ich machte mir einen Kaffee nach dem anderen, mein Herz klopfte unregelmäßig, Orphée schnupperte an den Rosen.
    Um halb fünf rief ich in Panik die telefonische Zeitansage an, um zu überprüfen, ob das Telefon funktionierte. Um fünf Uhr erfasste mich eine unvorstellbare Traurigkeit. Mit einem Mal war ich mir sicher, dass das Treffen der beiden Schwestern in einem unvorstellbaren Drama geendet hatte und dass es auch für mich keine Hoffnung mehr gab.
    Um halb sechs sprang ich vom Sofa auf und lief im Wohnzimmer auf und ab. Niemand brauchte so lange für eine Aussprache, nicht einmal zwei Frauen.
    »Verdammt! Verdammt! Verdammt!«, rief ich und Orphée raste unter den Sessel und lugte ängstlich darunter hervor. Ich verfluchte Solènes idiotische Idee, ich verfluchte mich selbst, weil ich nicht gleich morgens in die Rue de Grenelle gegangen war, schließlich riss ich in einem Anfall hilfloser Verzweiflung die Blumen aus der Vase.
    »Ach, was soll’s, das wird ja doch nichts mehr«, sagte ich und steckte die Rosen kopfüber in den Mülleimer.
    Da klingelte das Telefon.
    »Alain?« Solènes Stimme klang tränenerstickt.
    »Ja?«, stieß ich mit belegter Stimme hervor. »Wieso rufst du nicht an? Was ist los?« Ich fuhr mir aufgeregt durch die Haare. »Hast du sie jetzt gesehen, oder was?«
    Solène nickte, jedenfalls nahm ich das an. Sie schniefte in den Hörer und brach dann in Tränen aus. »Ach, Alain«, heulte sie.
    Ach, Alain!
    Das war alles.
    Meine Güte, manchmal hasse ich die Frauen! Ich quälte mich seit Stunden auf dem Sofa, war in allerhöchster Anspannung, war kurz vor dem Herzinfarkt, und alles, was so eine Frau sagte, war: »Ach, Alain!«
    Was war passiert? Gab es keine Versöhnung? Hatte der alte Hass gesiegt? War Solène zu spät gekommen? War Mélanie inzwischen etwa von der Brücke gesprungen? Oder hatte sie sich eine dieser alten Pistolen an die Schläfe gehalten und abgedrückt?
    Ich zwang mich zur Ruhe.
    »Solène«, sagte ich eindringlich. »Sag mir, was passiert ist.«
    »Ach, Alain«, schluchzte sie wieder. »Es war so schrecklich. Ich bin vollkommen fertig. Mélanie ist gerade nach Hause gegangen und ich fahre jetzt auch ins Hotel zurück.« Sie holte schluchzend Luft. »Es sind die Nerven, weißt du. Wir haben uns so angeschrien. Wir haben geweint. Aber am Ende haben wir uns vertragen. Es ist alles wieder gut.« Sie stieß einen Laut aus, der irgendwo zwischen Lachen und Weinen changierte.
    »Ich kann einfach nicht mehr aufhören zu weinen, Alain …«
    Sie schluchzte weiter, während ich mich vor Erleichterung neben den Mülleimer sinken ließ.
    Ich sollte nie erfahren, was in den unvorstellbar vielen Stunden zwischen den beiden Schwestern alles gesagt worden war, bevor sie sich nach zehn langen Jahren in einer tränenreichen Umarmung wieder versöhnten. Für mich zählte nur eines:
    Mélanie wollte mich sehen. Heute Abend um neun Uhr würde sie mich auf der Terrasse des Café de l’Esplanade erwarten.

33
    Es gibt Wunschorte im Leben. Orte, an denen man sich etwas wünscht. Orte, an denen man zu sich selbst findet. Orte, an denen nichts zu wünschen übrig bleibt.
    Mag sein, dass ich befangen bin, mit Sicherheit ist es so. Doch der Pont Alexandre III ist für mich ein solcher Ort.
    Paris hat viele Brücken, einige von ihnen sind sehr berühmt. Doch diese alte Brücke mit ihren wunderschönen Kandelabern, mit den vier hohen Pfeilern, auf denen vergoldete Pferde in den Himmel zu fliegen scheinen, mit all den Delphinen und Putten und Meeresgottheiten, die sich in spielerischem Reigen vor der steinernen Brüstung tummeln, scheint mir anders zu sein als alle anderen Brücken, die ich kenne.
    Wenn man in Saint-Germain wohnt und arbeitet, kommt man eher selten hierher. Natürlich war ich schon mit dem Auto über den Pont Alexandre gefahren, allerdings
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