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Eines Abends in Paris

Eines Abends in Paris

Titel: Eines Abends in Paris
Autoren: Nicolas Barreau
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hatte ich mir nie die Mühe gemacht auszusteigen. Und es hatte sich auch nie ergeben, dass ich einmal zu Fuß über diese Brücke gegangen war. Bis zu jenem Tag, an dem ich Mélanie wiedersehen sollte.
    Nach dem Telefonat mit Solène hatte ich vorsichtig die Rosen wieder aus dem Mülleimer gezogen und in die Vase zurückgestellt. Ich kannte das Café de l’Esplanade. Es lag unweit des Pont Alexandre, an der Ecke Rue de Grenelle und Rue Fabert, und bei gutem Wetter konnte man dort mit schönem Blick bis in den Abend hinein draußen auf der Terrasse sitzen.
    Es war sechs Uhr. Noch drei Stunden bis zu meinem Treffen mit Mélanie. Das war eindeutig zu lang. Ich konnte keinen klaren Gedanken fassen, ich lief in der Wohnung umher und meine Rastlosigkeit steigerte sich mit jeder Minute. Ich ging ins Bad und warf einen prüfenden Blick in den Spiegel. Die Blauschattierungen um mein linkes Auge waren verblasst. Ich ging wieder ins Wohnzimmer, setzte mich auf das Sofa und schloss für einen Moment die Augen. Kurze Zeit später sprang ich wieder auf und zog zum zweiten Mal an diesem Tag ein frisches Hemd an. Ich rasierte mich noch einmal, nahm etwas After-Shave, kämmte mir durch die Haare, suchte nach meinen braunen Wildlederschuhen und zog vorsichtshalber schon mal meine Jacke über.
    Ich machte mich fertig, so aufgeregt und sorgfältig wie selten in meinem Leben, und ich stellte mir vor, wie Mélanie irgendwo auf der anderen Seite der Seine dasselbe tat.
    Orphée saß auf der Kommode im Flur und verfolgte aufmerksam jede meiner Bewegungen. Sie schien zu spüren, dass etwas anders war als sonst. Ihre Ruhe machte mich noch nervöser.
    Und dann hatte ich eine Idee, die meiner ungeduldigen Verfassung sehr entgegenkam. Warum sollte ich überhaupt noch länger in der Wohnung bleiben? Es war ein herrlich milder Abend und ich würde Mélanie einfach entgegengehen.
    Ich war mir ganz sicher, dass sie über ihre Lieblingsbrücke zum Café de l’Esplanade kommen würde, und wie schön wäre es, wenn ich sie dort, auf der Brücke erwartete.
    Ich nahm die Rosen aus dem Wasser. Zwei der dicken roséfarbenen Blüten waren ein wenig abgeknickt, aber alle anderen hatten den Sturz in die Mülltonne unversehrt überstanden.
    »Wünsch mir Glück, Orphée«, sagte ich, als ich in der Tür stand.
    Orphée thronte auf der Kommode wie eine Sphinx und sah mich regungslos aus ihren grünen Augen an.
    Ich zog die Tür hinter mir zu und machte mich auf den Weg.

34
    Es war Viertel vor acht, als ich den Pont Alexandre III betrat.
    Das Erste, was ich sah, war eine Braut in einem bauschigen weißen Kleid, die an der Brüstung lehnte und sich an ihren frisch gebackenen Ehemann schmiegte. Die beiden standen auf der linken Seite des breiten Gehwegs und lächelten in die Kamera eines Photographen.
    Mit Bräuten ist es wie mit Schornsteinfegern – man freut sich immer, wenn man sie sieht, weil man glaubt, das Glück auf seiner Seite zu haben. Aber das allein war es nicht.
    Als ich etwa auf der Mitte der Brücke unter einer der dreiarmigen Belle-Époque-Lampen stehen blieb und mich über die Steinbrüstung lehnte, umfing mich mit einem Mal ein Zauber, wie ich ihn noch selten zuvor in meinem Leben empfunden hatte.
    Die Luft war weich und golden, der Blick, der weit über den Fluss reichte, durchdrang jede Faser meines Körpers mit dem beglückenden Bild von Weite und Schönheit.
    Am linken Ufer zogen die Autos unermüdlich die Avenue de New York entlang, auf der rechten Seite der Seine, wo die Glasdächer des Grand Palais und des Petit Palais aufragten, gab es keinen Verkehr. Dort standen Linden, die in wenigen Wochen schon ihren süßen Duft verströmen würden. Ein paar Steinstufen führten direkt zum stillen Ufer hinunter, wo einige Spaziergänger zu sehen waren und die Hausboote im Wasser schaukelten.
    Unter mir glitt ein Bateau mouche nahezu lautlos den Fluss entlang, weiter hinten wölbten sich die weit geschwungenen Bögen des Pont des Invalides, und in der Ferne erhob sich ganz klein der Eiffelturm.
    Nach all den Aufregungen der letzten Wochen erfasste mich eine wunderbare, großartige, vollkommene Ruhe.
    Ich atmete tief ein, und es gab nur einen Satz, der mein ganzes Denken erfüllte: »Jetzt wird alles gut.«
    Der Himmel begann sich zu verfärben, und ganz Paris wurde zu einem magischen, lavendelfarbenen Ort, der ein paar Meter über dem Boden zu schweben schien.
    In dem Moment, als die Lampen angingen und wie kleine weiße Monde an der Brücke zu
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