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Einer trage des anderen Schuld

Einer trage des anderen Schuld

Titel: Einer trage des anderen Schuld
Autoren: Anne Perry
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umhören.«
    Rathbones Wangen verfärbten sich, und Hester wusste, was er jetzt dachte – dass sie zu jedem anderen Zeitpunkt Margaret um Hilfe gebeten hätten, was jetzt jedoch vollkommen ausgeschlossen war. Darauf wollte sie freilich ebenso wenig hinweisen wie auf den Umstand, dass Rathbone momentan wohl kaum den Wunsch verspürte, sich in seinen Kreisen zu bewegen. Wahrscheinlich hatte er noch nicht darüber nachgedacht, wie sein Leben weitergehen würde, nachdem man seinen Schwiegervater gehängt hatte. Aus diesem Alptraum würde es kein Erwachen geben.
    »Und Crow«, schlug Monk vor. »Ich werde Orme fragen. Er kennt den Fluss besser als ich.«
    »Und ich werde Rupert Cardew um seine Hilfe bitten«, erklärte Hester. Ihr Blick wanderte von Monk zu Rathbone. Da sie Widerspruch erwartete, hatte sie sich schon ein Argument zurechtgelegt.
    »Nach allem, was er bereits getan hat, könnte er damit sein Leben aufs Spiel setzen«, gab Monk zu bedenken.
    »Ich weiß. Und ich werde ihn daran erinnern. Aber ich muss ihn um seine Mitarbeit bitten. Es ist ein weiter Weg zurück von dem, was er früher einmal war, aber ich glaube, er hat ernsthaft vor, ihn zu gehen.«
    »Wenn er in London bleibt, ist er ruiniert«, warnte Monk düster. »Versteht er das denn nicht? Ihm wird nie verziehen werden, was man in höheren Kreisen als Verrat an seinesgleichen bezeichnen wird.«
    »Das weiß er«, versicherte Hester ihm, die sich wieder an Ruperts aschfahles Gesicht erinnerte, als sie ihn gebeten hatte, vor Gericht auszusagen. »In England kann er sich nirgendwo mehr blicken lassen. Ich nehme an, dass er nach Australien oder in ein anderes weit entferntes Land auswandern wird. Einen Neuanfang versuchen.«
    »Für seinen Vater muss das die Hölle sein«, murmelte Rathbone. »Armer Mann.«
    »Besser, das Land als geläuterter Mann zu verlassen, statt hierzubleiben, ohne sich zu ändern.« Hester schüttelte den Kopf. »Sehr viele Möglichkeiten hat er sich ja nicht gerade offengelassen. Diese eine ist unter den Umständen die sauberste, das Tapferste was er tun konnte. Aber diese eine Sache kann er noch für uns erledigen, bevor er fortgeht. Möglicherweise ist er der Einzige, der wenigstens ein paar von den Männern kennt, mit denen Ballinger verkehrte. Und was die Aufnahmen betrifft, hat Ballinger sie wahrscheinlich jemandem gegeben, der selbst darauf zu sehen ist. Dieser Mann wird garantiert alles tun, was er sagt.«
    Monk unterdrückte einen Fluch, widersprach Hester aber nicht. »Dann fangen wir am besten gleich an. Wo ist Scuff?«
    »Du nimmst ihn doch nicht etwa mit?«, rief Hester entsetzt.
    Er hob die Augenbrauen. »Natürlich kommt er mit. Meinst du, er wäre zu Hause besser aufgehoben? Wenn ich ihn dabeihabe, weiß ich wenigstens, wo er ist.«
    Langsam ließ sie den Atem entweichen. Monk hatte recht, aber das war nicht sicher genug. Doch das würde es wahrscheinlich nie sein. Das Leben war einfach nicht sicher.
    Sechs Tage lang arbeiteten sie von Sonnenaufgang bis tief in die Nacht. Monk und Orme ermittelten flussaufwärts und -abwärts. Rathbone ging sämtliche gesellschaftlichen und geschäftlichen Verbindungen Ballingers durch, soweit er sie aufspüren konnte. Claudine lauschte dem Klatsch der höheren Gesellschaft und stellte immer wieder neugierige und teilweise auch aufdringliche Fragen. Squeaky hörte sich bei den ihm bekannten Bordellbetreibern, Prostituierten und Kleinganoven um. Crow suchte alle möglichen zwielichtigen Heiler, Zuhälter und Engelmacher auf. Und Rupert Cardew riskierte mit Befragungen unter seinen Bekannten seine Sicherheit, ja, sein Leben. Einmal wurde er zusammengeschlagen und konnte von Glück reden, dass er mit Blutergüssen und einer gebrochenen Rippe davonkam.
    Jede Spur verlief im Sande, sodass sie am Ende nicht klüger waren als zuvor, weiterhin das Schlimmste befürchteten und nur darüber spekulieren konnten, wer die Aufnahmen hatte oder ob es sie wirklich gab. Freilich wagten sie nicht, Zweifel an ihrer Existenz in Worte zu fassen.
    Schließlich beschloss Rathbone, ein letztes Mal Arthur Ballinger um seine Kooperation zu bitten, ihnen allein schon um seiner Familie willen zu verraten, wo sich die Fotografien befanden, damit sie sie vernichten konnten.
    Am nächsten Morgen wollte er ihn im Gefängnis aufsuchen. Um Mitternacht stand er im Salon seines totenstillen Hauses und starrte durch die Terrassentür auf den herbstlichen Garten hinaus. Die süßen Gerüche nach Regen und feuchter
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