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Einer trage des anderen Schuld

Einer trage des anderen Schuld

Titel: Einer trage des anderen Schuld
Autoren: Anne Perry
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gebracht, das erste Urteil im Widerspruchsverfahren aufzuheben? Als Master of the Rolls hat er sämtliche Berufungsgerichte unter sich. Die Hälfte seiner Freunde sind Eigentümer von Fabriken wie dieser.«
    Plötzlich befiel Rathbone eine grässliche Angst. Quälende Gedanken stürmten auf ihn ein.
    »Schließlich …« Ballinger atmete langsam aus. »Wie würdest du solche Leute beeinflussen, Oliver? Sie haben alles Geld, das sie sich wünschen können, alle Macht, genießen Respekt, Ehrerbietung, Ruhm. Die kann man nicht bestechen. Auf die Stimme der Vernunft oder Gnade brauchen sie nicht zu hören. Aber beim heiligen Gott im Himmel, bei der Androhung ihrer Bloßstellung müssen sie sehr wohl parieren! Ich habe Aufnahmen von Lord Justice Garslake, bei denen sich dir der Magen umdrehen würde. Und er fällt die verdammten richtigen Urteile, oder ich ruiniere ihn, und das weiß er genau.«
    Rathbone verschlug es die Sprache. Worte purzelten in seinem Kopf durcheinander, aber keines hätte genügt, um das Grauen auszudrücken, das sich in ihm ausbreitete.
    »Also denk scharf nach!«, brüllte Ballinger. »Lass dir was für den Widerspruch einfallen, Oliver. Denn ich habe sehr anschauliche und drastische Fotografien, viel mehr, als du vor Gericht gesehen hast, auf denen ganze Horden von feinen Herren Akte ausführen, die nicht nur obszön sind, sondern darüber hinaus mit Kindern des gleichen Geschlechts stattfinden, und das ist eine Straftat. Einige dieser Gentlemen stammen aus den allerbesten Häusern und bekleiden hohe Ämter in der Justiz und der Regierung. Einer oder zwei stehen sogar der Königin nahe. Wenn mir etwas Unerfreuliches zustoßen sollte, zum Beispiel mein Tod aus anderen Gründen als Krankheit oder Alter, werden diese Fotografien in die Hände bestimmter Leute fallen, von denen du nicht weißt, wer sie sind und was sie damit anstellen werden. Das würde dir nicht gefallen, denn diese Leute setzen sie dann unter Umständen nicht so besonnen ein wie ich. Diese Aufnahmen sind in der Tat äußerst scharfe Waffen. Egal, was du von mir halten magst, du wirst ein Interesse daran haben, dafür zu sorgen, dass ich am Leben und bei guter Laune bleibe.«
    Rathbone starrte ihn fassungslos an. Der Mann ihm gegenüber kam ihm vor wie eine Erscheinung aus der Hölle und vereinte doch in sich alles Leidenschaftliche, alles Entsetzliche, zu dem ein Mensch fähig war. Sämtliche Teile fügten sich zu einem Ganzen: die Verführung, die Logik, die Raserei und der Erfolg.
    »Und spar dir die Suche nach ihnen«, fuhr Ballinger fort. »Du wirst sie nicht finden – nicht in zwei Jahren, und schon gar nicht in zwei Wochen.« Er lächelte. »Insbesondere das Gerichtswesen würde leiden. Sieh also zu, dass du eine Möglichkeit findest, die Aufhebung des Urteils gegen mich herbeizuführen, koste es, was es wolle. Ich glaube nicht, dass ich dir die Mittel und Wege erklären muss, aber wenn es nötig sein sollte, kann ich das sehr wohl und werde es auch tun. Es wird noch andere geben als mich, die dich um Rettung bitten oder an den Pranger stellen werden, falls du scheiterst.«
    Rathbone hatte gedacht, noch schlimmer könne sein Alptraum nicht werden, doch nun hatte er sich vervielfacht!
    »Warum hast du Parfitt umgebracht?«, fragte er mit heiserer Stimme. Der Grund tat eigentlich nichts mehr zur Sache; er wollte es einfach wissen. »War er zu gierig geworden? Drohte er, das ganze System zum Einsturz zu bringen?«
    »Nein, mit Parfitt war alles in Ordnung«, antwortete Ballinger beiläufig, als wäre die Angelegenheit eine Nebensache gewesen. Doch plötzlich starrte er Rathbone eindringlich in die Augen. »Aber ich muss doch diese Macht behalten! Es muss noch so vieles getan werden! Nicht nur gegen die Verschmutzung, sondern auch gegen die Räumung von Slums, gegen Kinderarbeit …« Seine Augen leuchteten in fiebrigem Glanz und beobachteten Rathbone. »Was kannst du ausrichten, Oliver, du mit all deinen brillanten Plädoyers vor Gericht? Kannst du diese Männer dazu bringen, sich einen Zoll von ihrer bequemen Position, von ihrer Macht fortzubewegen?«
    Rathbone antwortete gar nicht erst darauf. Die Frage war rein rhetorischer Natur, und sie wussten beide, dass er nichts ausrichten konnte.
    » Ich kann das!«, hielt Ballinger ihm vor. »Aber ich wusste, dass Monk nie von der Sache ablassen würde. Er glaubte, dass ich hinter Jericho Phillips steckte, und war entschlossen, mich an den Galgen zu bringen. Da musste ihn ja
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