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Einen solchen Himmel im Kopf: Roman (German Edition)

Einen solchen Himmel im Kopf: Roman (German Edition)

Titel: Einen solchen Himmel im Kopf: Roman (German Edition)
Autoren: Lew Tolstoi , Stephanie Gleißner
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und schlug mir mit der flachen Hand ins Gesicht.
    »Von der Polizei heimgebracht werden, ja, so weit kommt’s noch«, schrie er.
    »Aber sie waren doch nur bei einer Freundin zum Geburtstag, und dann hat der Rieder sie am Bahnhof abgefangen«, setzte meine Mutter an, doch er wollte keine Erklärungen. Es ging ums Prinzip.

25.
    »Guten Tag, AOK, Frau Luger am Apparat. Was kann ich für Sie tun?«
    »Johanna, ich bin’s, Annemut.«
    »Ah, Frau Murr. Wie kann ich Ihnen helfen?«
    »Johanna, ich reise morgen ab, und da wollt ich dich fragen, ob wir uns heute Abend vielleicht noch treffen können. Ich würde gerne mit dir reden. Ich weiß, das hört sich jetzt blöd an, aber ich denke in letzter Zeit wieder so viel an dich … ich weiß nicht … hast du Zeit?«
    »Haben Sie Ihre Auslandskrankenversicherungsscheine erhalten?«
    »Ja, schon. Aber.«
    »Na, dann ist ja alles gut. Dann wünsche ich Ihnen einen schönen Aufenthalt in Afrika, Frau Murr. Auf Wiederhören.«

26.
    Die Alten auf den Bänken vor der Kirche sind fassungslos. Es sei alles noch mal glimpflich ausgegangen, sagen sie, man dürfe gar nicht daran denken, was da noch alles hätte passieren können. Sie schütteln den Kopf, wer hätte das gedacht. Sicher, dass er ein bisschen zurückgeblieben war, das sei kein Geheimnis gewesen, sagen sie, aber das heiße ja nichts, deswegen könne einer doch trotzdem ein gutmütiger Kerl sein. Für einen solchen hatten sie ihn gehalten, und sich selbst hatten sie auch für besonders gutmütig gehalten, wenn sie ihre Späße machten. Er solle doch lieber den Mädchen hinterherschauen als ständig in den Anzeigenkasten, hatten sie gescherzt. Er sei dann fast ein bisschen rot geworden, erinnern sie sich und schütteln wieder die Köpfe.
    Karl Rieders Verhör war eine einsilbige Angelegenheit. Man musste ihm alles aus der Nase ziehen. Er kämpfte mit jedem Wort. Die Beamten wurden nervös von seinem Gestotter, sie gingen dazu über, die Sätze selbst zu formulieren, er bejahte oder verneinte.Als sie ihn fragten, warum er das gemacht habe, sagte er schnell und in einem Zug: »Die Alten wollten es.« Psychologische Gutachten wurden erstellt, es verging ein halbes Jahr bis zur Gerichtsverhandlung.
    Er sei in einer Einrichtung untergebracht, sagten die Alten auf den Bänken vor der Kirche. Am meisten leid müssten einem ja die Eltern tun, die würden ihren Lebtag nicht mehr froh, sagten die verständigen Frauen vom Mütterverein.
    Karl Rieder hatte gut zwanzig Kilo zugenommen, sein Gesicht war aufgedunsen, der Blick glasig. Johanna, die mir gegenüber auf der anderen Seite des Zimmers saß – es war tatsächlich ein Zimmer mit einem Podest und nicht der Gerichtssaal, den ich mir vorgestellt hatte –, versuchte unentwegt, seinen Blick einzufangen, doch er schaute durch sie hindurch. Es war nicht sicher, ob er sie überhaupt erkannte. Auch auf die Fragen des Richters reagierte er nicht. Nur am Ende, als er aufgefordert wurde, sich wieder hinzusetzen, sagte er: »Die Alten sind schuld.«
    Dann wurden die Zeugen verhört. Ich kam vor Johanna an die Reihe. Ich trat nach vorne, der Richter fragte die Formalien ab, dann sagte er: »Sie müssen keine Angst haben, wir tun Ihnen hier nichts. Sie erzählen uns jetzt einfach, was Sie da erlebt haben andiesem Morgen, eins nach dem anderen, was passiert ist, und wenn ich etwas genauer wissen will, dann hake ich nach.«
    Ich habe keine Angst. Ich weiß, ich werde das Hinterland verlassen, ich bin schon auf dem Weg, und wenn ich zurückkehre, werde ich eine andere geworden sein.

Informationen zum Buch
    Eine Heilige im Hinterland
    "Das Wunder ist für die Anderen bestimmt, nicht für die Heiligen, die brauchen es nicht mehr, die glauben bereits, und deswegen kommt das Wunder für sie meist zu spät.“
    Dass sie ihren Kopf ziemlich weit oben trage, fanden die Alten. Sie sei begabt aber auch gefährdet, meinten die Lehrer. Den pöbelnden Jungs im Zug schlug sie mit der flachen Hand ins Gesicht und zu Hause klebte sie Heiligenbilder in ein Heft. Und heute? Zehn Jahre später sitzt Johanna hinter einem Schreibtisch der örtlichen Krankenkasse, Thermoskanne und Pausenbrot neben sich, und schaut nur kurz auf, als ihre ehemals beste Freundin Annemut den Raum betritt. Was ist nur aus Johanna geworden? Annemut versucht zu verstehen. Sie erinnert sich an den Sommer im Gartenhaus, die gemeinsamen Ausgehnächte und jene Morgendämmerung, in der sie dabeistanden und zusahen, wie die verrufene Pension
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