Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Einen solchen Himmel im Kopf: Roman (German Edition)

Einen solchen Himmel im Kopf: Roman (German Edition)

Titel: Einen solchen Himmel im Kopf: Roman (German Edition)
Autoren: Lew Tolstoi , Stephanie Gleißner
Vom Netzwerk:
einzelnen Kuben standen in großzügig bemessenen braungrünen Rechtecken, die ihrerseits von parallel verlaufenden Linien, Pfaden, die in die mittig platzierten Hauseingänge mündeten, durchzogen waren. Die Spielplatzanlagen mit den trapezförmig aufragenden Schaukelgestellen, den Wippen, die im Lot auf quadratische Sandkästen fielen, ja selbst die Linie des Gestrüpps, die parallel zu den Sitzbankreihen verlief, wiederholten und komplementierten die Symmetrie im Kleinen.
    Ich saß auf der Stufe eines Hauseingangs und wartete. Ein Dackel hatte den Pfad verlassen, um sein Geschäft an dem Gebüsch, der Spielplatzgrenze, zu
     verrichten. Das Herrchen blieb stehen, die Leine, Gebüsch und Pfad bildeten ein spitzes Dreieck – eine vollkommene, unentrinnbare Ordnung!
    Ich schlief eingerollt auf dem Treppenabsatz im Hauseingang. Ich erwachte am frühen Morgen, als eine ältere Dame mit leichten Tritten meinen Rücken malträtierte. Sie wollte herausfinden, ob ich nur schlief oder schon tot war. Schreiend fuhr ich hoch.
    »Um Gottes willen, jetzt beruhigen Sie sich doch«, herrschte sie mich an. Sie hatte gar keine Angst. »Sie sind ja noch ein halbes Kind. Warum schlafen Sie hier im Hauseingang? Was ist passiert?«
    »Ich habe gewartet«, antwortete ich.
    »Gewartet?«, wiederholte sie ungläubig. Schließlich wies sie mir kopfschüttelnd den Weg zur nächsten U-Bahn-Station. Die ganze Zugfahrt dachte ich daran, wie ich mir gleich die Zähne putzen und duschen würde, um dann im Weichspülergeruch eines gebügelten Nachthemds einzuschlafen. Es waren durchaus verständliche, die Hygiene und das körperliche Wohlbefinden betreffende Bedürfnisse, doch meine Vorfreude darauf war unverhältnismäßig. Die Sorge um Johanna, die Angst, dass sie vielleicht nicht sicher ins Hinterland zurückgekehrt war, das Wissen, dass ich ihr Unrecht getan hatte und dass sie für sich das Wort »Verrat« dafür verwenden würde, all das, was schwer wog, wurde von dieser Vorfreude verdeckt. Wenn ich es spürte, dann so wie einen beginnenden Zahnschmerz, den nicht ernst zu nehmen man sich entschlossen hatte; nicht wie Schuld.

20.
    All die Jahre wollte ich nur schlafen, in frisch aufgeschüttelten, gutriechenden Federbetten schlafen, war alles, was ich wünschte, nur schlafen, nichts weiter. Heute Morgen stehe ich auf.
    »Annemut! Wie schön, dass du anrufst!« Zorahs unverstellte Freude ist entwaffnend. Ich habe alle möglichen Szenarien durchgespielt, doch darauf bin ich nicht vorbereitet. Frank hat es ihr noch immer nicht gesagt. Sie sagt: »Paul vermisst dich auch schon«, und dann höre ich Paul meinen Namen ins Telefon lallen.
    »Zorah, hör mal, ich muss dir was sagen!«
    Sie hört nicht zu, sie redet über mich hinweg weiter: »Und hast du’s dir schon überlegt? Willst du mit uns zusammenziehen?«
    »Zorah!«, versuche ich sie zu unterbrechen.
    »Annemut, Frank hat es mir schon erzählt, dass du nicht mitkommst nach Timbuktu. Das hättest du nicht machen brauchen, ich meine, ich hätte es verstanden, wenn du mit ihm fährst, es ist ja dein Job. Das hat ja nichts mit dir zu tun, dass Frank und ich uns trennen. Wirklich, ich möchte nicht, dass du wegen mir den Job hinschmeißt.« Ihre totale Ahnungslosigkeit verschlägt mir die Sprache.
    »Annemut? Annemut? Bist du noch da?«
    »Ja, ich bin noch da. Hör zu, ich fahre morgen zurück. Ich ruf dich an, sobald ich angekommen bin. Wir müssen uns treffen. Ich muss dir etwas sagen. Es ist wichtig.«
    »Was denn, Annemut? Was? Du hörst dich so komisch an, ist es was Schlimmes? Ist dir was passiert?«
    »Mach dir keine Sorgen, mir geht es gut. Wir reden morgen, wenn ich zurück bin, ja?«

21.
    Es war drückend heiß, als ich am späten Vormittag im Hinterland ankam. Ich umging Fußgängerzone und Kirche weitläufig. Ich wankte vor Müdigkeit und glaubte, meinen eigenen Gestank zu riechen. Als meine Mutter mir mit einem Korb Bügelwäsche den Weg zur Treppe versperrte, stieß ich sie zur Seite. Sie hielt mich am Arm fest.
    »Junge Dame, dass Sie auch mal wieder bei uns zu Gast sind«, sagte sie.
    »Ich kann jetzt nicht reden, ich muss aufs Klo, ich muss schlafen.«
    »Wart ihr schon wieder in aller Herrgottsfrüh unterwegs?« Für einen Moment glaubte ich, dass sie alles wusste, dass sie hier stand, um mich auf die Wut des Vaters, der in einem anderen Zimmer bereits rumorte, vorzubereiten. »Ich habe die Johanna heuteMorgen schon gesehen, mit Gummistiefeln und Eimer, du warst aber nicht
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher