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Einen solchen Himmel im Kopf: Roman (German Edition)

Einen solchen Himmel im Kopf: Roman (German Edition)

Titel: Einen solchen Himmel im Kopf: Roman (German Edition)
Autoren: Lew Tolstoi , Stephanie Gleißner
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gemeinsamenTanz zu animieren, fasste sie am Handgelenk und schleppte ihn über die Tanzfläche zu mir. Der Freund des Abgeschleppten folgte ihnen. Ich stand an der Bar, in beiden Händen ein Bier, und machte ein Na-dann-bringen-wir’s-halt-hinter-uns-Gesicht.
    »Jonas und Timo. Timo und Jonas. Heilpädagogik und – was war das andere noch mal? Ah, Soziologie. Timo und Jonas. Heilpädagogik und Soziologie«, sie machte eine Pause, »ich werde mir eure Namen nicht merken, eure Studienfächer natürlich auch nicht.«
    Der eine, der mit den Aknenarben, den sie für mich bestimmt hatte, schaute den anderen flehend an, der riss die Augen auf, panisch wie ein Kaninchen beim Transport zum Tierarzt. Sie wollen fliehen, dachte ich, ich will auch abhauen, nur weg von dieser Gestörten. Ich bin sturzbetrunken, der mit den Aknenarben streckt mir die Hand entgegen, ich greife daran vorbei. Ich bin noch nicht betrunken genug, ich schäme mich noch und werde rot. Ich bin jetzt ganz groß darin, die kleinen Dinge zu sehen. Ich rufe: »Bei der sieht man voll die Unterhose«, oder: »Da kommt eine Frau aus dem Männerklo«. Ich sehe auch, wie Johannas Finger, während sie sagt, dass sie sich weder ihre Namen noch die Studienfächer merken wird, die Haare auf dem Unterarm des einen gegen den Strich nach oben streichen. Es ist ganz erstaunlich, was ich alles sehe und im nächsten Moment wieder vergesse.Nichts verbindet sich, Detail folgt auf Detail. Ich werde wütend, versuche mich zu konzentrieren. Unter großer Anstrengung gelingt mir eine letzte Synthese.
    »Reizblockade!«, rufe ich. Die beiden Jungs hören es, schauen aber gleich betreten zur Seite. Betrunkene Frauen finden sie besonders schlimm. Sie begreifen nicht, dass ich begriffen habe, was sie zurückhält. »Reizblockade!«, schreie ich nochmals. Doch es nützt nichts. Ich bin zu schnell für sie, ich muss es ihnen langsam erklären, muss es ihnen veranschaulichen. »Es ist, als würde man eine Katze mit Brekkies locken und sie gleichzeitig in den Schwanz kneifen«, erkläre ich. Sie schütteln den Kopf. Ich weiß, sie denken, ich sei völlig plemplem. »Mein Gott, so schwer ist das doch nun auch nicht zu begreifen. Sie beleidigt euch, und gleichzeitig streichelt sie dir den Arm – voilà Reizblockade!«, rufe ich. Ich bekomme eine leise Ahnung von meinem Irrsinn und lache mit Absicht extra irr, um das Bild zu komplementieren. Der für mich Bestimmte wendet sich angewidert ab, er klopft seinem Freund auf die Schulter.
    »Alter, ich pack’s dann mal«, sagt er und verdrückt sich. Im Gesicht des anderen ist eine kurze Verunsicherung zu sehen, dann stellt er sich der Herausforderung.
    »War das dein Freund?«, fragt Johanna mit verstellter Kinderstimme.
    »Ja«, antwortet er.
    »Die Annemut und ich, wir sind ja auch Freunde, stimmt’s, Annemut?«
    Ich antworte ihr nicht.
    Ich habe das letzte Gefühl. Natürlich weiß ich in dem Moment nicht, dass es das letzte Gefühl ist, dass es für die ganze folgende Dekade reichen muss. Immerhin, es ist ein starkes letztes Gefühl. Es ist Hass. Der Hass reicht nicht für eine ganze Dekade, er reicht noch nicht einmal über diese Nacht hinaus. Er verflüchtigt sich. An seine Stelle rückt nichts nach. Es bleibt eine Leere, die ich mit Beobachtungen fülle. Ich bilde mir viel darauf ein, mehr zu sehen als andere. Nach und nach merke ich, dass das allein nicht reicht. Man muss auch die passenden Gefühle haben zu dem, was man beobachtet. Es ist, zugegebenermaßen, eine Herausforderung, doch es gab durchaus Momente in den letzten zehn Jahren, in denen ich beinahe vergaß, dass ich nur simuliere.
    »Und was machen wir jetzt, TimoJonas Soziologie-Heilpädagogik?« Johanna war nüchtern, ihre Stimme schrill.
    »Keine Ahnung.«
    »Wie? Keine Ahnung?« Ihre Finger spielten mit den kleinen Locken in seinem Nacken.
    »Wollt ihr mit zu mir kommen? Wir können da was rauchen.«
    Sie funkelte mich an. »Super, JonasTimo. Na, dann mal los!«
    In der U-Bahn versuchte er dem Ganzen noch einmal eine Wendung zu geben.
    »Also, unterhalten kann man sich da drin echt nicht. Das ist so tierisch laut, das merkt man erst, wenn man wieder draußen ist.«
    Jetzt, ohne Musik und im leeren U-Bahn-Abteil, schien er noch schüchterner.
    »Du willst dich unterhalten?«, fragte Johanna.
    »Ja, warum nicht?«
    »Was sind denn so deine bevorzugten Themen?«
    »Keine Ahnung«, zögerte er.
    Johanna fuhr sofort dazwischen.
    »Keine Ahnung, keine Ahnung«, äffte sie ihn
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