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Einen solchen Himmel im Kopf: Roman (German Edition)

Einen solchen Himmel im Kopf: Roman (German Edition)

Titel: Einen solchen Himmel im Kopf: Roman (German Edition)
Autoren: Lew Tolstoi , Stephanie Gleißner
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etwas Kleingeld zutage, bei weitem nicht genug.
    »Kannst du ihr vielleicht wechseln?«, fragte er sein Gegenüber.
    Da erst erkannte ich ihn. Er war kein Brahmane. Er war nicht heilig. Er zog ein Bündel Scheine, das mit einer Klammer zusammengehalten war, hinten aus der Tasche seiner Cordhose.
    »Ich lass an der Bar wechseln, bin gleich wieder da«, sagte er.
    Er sprach leise mit belegter Stimme, er verschluckte Silben. Ich stand neben ihm, tatsächlich, er hatte Bier und Zigaretten mitgebracht, die Hände hatten etwas, woran sie sich festhalten konnten. Ich wollte ihm alle W-Fragen auf einmal stellen, doch neben ihm zu stehen bedeutete, abgeschnitten zu sein. Es war, als würden wir zusammen in einem Verschlag kauern und uns verstecken. Ständig drückten sich Leute in beide Richtungen an uns vorbei; wir hier drinnen, und draußen scharren die Hunde. Man führt keine großen Gespräche in Verstecken, man beschränkt sich auf das Nötigste. Man merkt dann schnell, dass Verbundenheit nicht an Worten hängt, unsere entstand im Schweigen. An das wenige, das wir in dieser Nacht miteinander sprachen, erinnere ich mich nicht mehr. Ich weiß nur, dass ich kein Vertrauen hatte in diese Verbundenheit. Sie erschien unheimlich fragil, ein falsches Wort oder eines zuviel, der plumpe Körper, die Flechte am Ohr, die zerkratzten Handgelenke und abgekauten Nägel gefährdeten sie. Ich war überzeugt, sie hing von den Lichtverhältnissen ab, dem Tageslicht ausgesetzt, würde diese Verbindung nicht bestehen. Schlimmer als die äußeren Gefährdungen waren die von innen: meine Liebe, diese klebrige Verehrung, die mir die Brust zuschnürte und hoch in den Hals drückte, säuerlich ätzend wie Kotze, ich schluckte sie hinunter. Voll Hingabe. Und weil alles, was ich war, jede meiner Äußerungen, ja selbst der Raum, den ich einnahm, diese Verbindung gefährdete, nahm ich mich in mich selbst zurück, reduzierte Oberfläche, verschwand in einem Gebet: Herr, ich bin nicht würdig, dass du einkehrst unter meinem Dach, aber sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund .
    »Lass uns rausgehen, ja?«, sagte er.
    Ich folgte aufs Wort, befahl den Körper Richtung Ausgang. Er zog einen Mundwinkel hoch, eine Art Lächeln.
    »Hast du keine Jacke?«, fragte er.
    Ich senkte den Kopf. Wieder etwas falsch gemacht, wieder saudumm gewesen. Diese Liebe, diese widerliche, süßliche Liebe, wie ich sie hasste. An der Garderobe fragte das Mädchen dreimal nach dem Billett. Ich schaute aus mir hinaus wie aus einem Panzer, sie schrie: »Bist du taub oder was, ich brauch das Billett, sonst kann ich dir deine Jacke nicht geben!«
    Johanna erschien, zog ihr Portemonnaie aus der Plastiktüte und reichte dem Mädchen zwei Billetts, nahm unsere Jacken entgegen und reichte mir meine. Ich schaute zu, wie sie ihre Jacke anzog, wunderte mich, wie abgehackt und sorgfältig sie die einzelnen Bewegungen ausführte, und erst, als sie fragte: »Annemut, was ist? Warum ziehst du dich nicht an?«, kam ich wieder zu mir und verstand.
    »Du kannst nicht mitkommen, ich gehe mit ihm«, ich deutete mit dem Kopf in seine Richtung. Er war noch da. Er stand am Ausgang und wartete. Ich ließ Johanna stehen und ging mit ihm.
    Ich schaute fragend in den U-Bahn-Schacht, er ging daran vorbei.
    »Wir gehen zu Fuß«, sagte er.
    Wir waren auf Umwegen, das spürte ich, obwohl ich das Ziel nicht kannte. Wir liefen durch Reihen von Einfamilienhäusern. Nach und nach wurden die Abstände zwischen den Häusern geringer, schließlich gingen die Fassaden nahtlos ineinander über. Ich betrachtete ihre Schnörkel und Ornamente im Vorübergehen und während ich auf ihn wartete. Denn in regelmäßigen Abständen verschwand er in den dunklen, schlauchartigen Hauseingängen, sie führten in ein Labyrinth aus Hinterhöfen, weiteren Durchgängen und Querverbindungen.
    »Warte hier, ich komm gleich wieder«, hatte er gesagt, während es in der Sprechanlage noch rauschteund er schon durch die Eingangstür gegangen war, gleichgültig und unaufgeregt, als würde er schnell seinen Schal oder Handschuhe, die er vergessen hatte, holen, und genau so wartete ich.
    Als es hell wurde, erreichten wir die Plattenbauten am Stadtrand. Sie standen wie Befestigungsanlagen, von denen aus man die Ein- und Ausgänge der Stadt, die Autobahnauf- und -abfahrten überblicken und kontrollieren konnte. Es gab hier nur eine von parkenden Autos gesäumte, breite Straße ohne Bürgersteig. Man ging hier nicht spazieren. Die
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