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Einem Tag mit dir

Einem Tag mit dir

Titel: Einem Tag mit dir
Autoren: S Jio
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die genauen Einzelheiten zu erinnern. »Es hörte sich an wie aus einem Liebesroman«, sagte sie. »Er hat mir erzählt, dass er Sie einmal sehr geliebt hat und dass er Sie immer noch liebt.«
    »Warum hat er mich dann nicht angerufen oder mir geschrieben?«, fragte ich kopfschüttelnd.
    Genevieve hob die Schultern. »Er wird wohl seine Gründe gehabt haben. Er war ein wenig exzentrisch. Aber ich nehme an, so sind Künstler eben.«
    Ich runzelte die Stirn. »Künstler ?«
    »Ja«, erwiderte Genevieve. »Ich habe zwar keine seiner Arbeiten gesehen, aber ich weiß, dass er über eine umfangreiche Sammlung seiner eigenen Werke verfügte – Gemälde, Skulpturen. Er hat nach dem Krieg in Europa Kunst studiert und später in den USA an einer Universität im Mittelwesten als Dozent gearbeitet.«
    »Genevieve«, fragte ich, »warum sagen Sie, er verfügte über eine eindrucksvolle Sammlung seiner Werke?«
    »Er hat alles verschiedenen Museen gestiftet«, antwortete sie. »Er hat mal zu mir gesagt, Kunst sei für die Menschen da, man dürfe sie nicht bunkern.«
    Ich lächelte. »Klingt genau nach dem Westry, den ich gekannt habe.«
    Jennifer räusperte sich. »Genevieve, Sie haben eben angedeutet, dass Westry auch Skulpturen geschaffen hat«, sagte sie. »Wissen Sie, mit welchem Material er gearbeitet hat? Mit Ton? Vielleicht mit Bronze?«
    Ich wusste sofort, worauf sie hinauswollte. Die Insel brachte einen dazu, Zusammenhänge zu vermuten, wo gar keine waren.
    »Ich bin mir nicht sicher«, sagte Genevieve. »Er hat kaum über seine Arbeit gesprochen. Ich könnte mich auch komplett irren. Es ist alles so lange her, und mein Ge dächtnis ist auch nicht mehr, was es einmal war.«
    Sie nahm ein gelbes Notizheft aus ihrer Tasche und legte es auf den Tisch.
    »Darf ich Ihnen ein paar Fragen stellen?«, erkundigte sie sich vorsichtig.
    »Selbstverständlich«, sagte ich.
    »Ich habe ja bereits in meinem Brief erwähnt, dass vor langer Zeit hier auf der Insel eine junge Frau ermordet wurde«, sagte sie. »Ich versuche, den Fall aufzuklären, um der jungen Frau von damals Gerechtigkeit zu verschaffen.«
    Jennifer und ich tauschten einen Blick aus.
    »Soviel ich weiß«, sagte Genevieve, »haben Sie während des Kriegs hier als Lazarettschwester gearbeitet, und an dem Abend, als der Mord geschah, hatten Sie dienstfrei.« Sie beugte sich vor. »Haben Sie damals irgendetwas gehört oder gesehen? Können Sie mir irgendetwas über das Verbrechen sagen? Dieser Mord ist so geheimnisumwittert. Es ist, als wäre die Frau von der Insel verschluckt worden, ohne die geringste Spur zu hinterlassen. Sie sind meine letzte Hoffnung in dieser Sache.«
    »Ja«, erwiderte ich. »Ich kann Ihnen tatsächlich etwas sagen.«
    Genevieve klappte ihr Notizheft auf und schaute mich erwartungsvoll an.
    Ich verschränkte die Hände in meinem Schoß und dachte daran, dass ich Westry fest versprochen hatte, mit niemandem über den Mord zu sprechen. Aber obwohl ich all die Jahre immer und immer wieder darüber nachgedacht hatte, konnte ich nach wie vor nicht verstehen, was ihn zu seinem Verhalten bewogen hatte und wen er damit hatte schützen wollen. Wenn ich half, die Sache ans Tages licht zu bringen, würde ich vielleicht die Antworten bekommen, nach denen ich mich sehnte.
    »Atea«, sagte ich. »Sie hieß Atea.«
    Genevieves Augen weiteten sich. »Ja«, sagte sie. »Das stimmt.«
    Jennifer drückte meine Hand.
    »Sie war sehr schön«, fuhr ich fort. »Ich habe sie nur kurz gekannt, aber sie strahlte Natürlichkeit und Herzens güte aus.«
    Genevieve nickte und legte ihren Stift weg. »Viele Einheimische haben ihren Tod nie verwunden«, sagte sie. »Bis heute nicht. Diejenigen, die alt genug sind, um sich zu erinnern, sprechen davon, dass sie dem Bösen zum Opfer gefallen ist, das ihre Insel damals heimgesucht hat. Deswegen habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, für Gerechtigkeit zu sorgen. Für Atea, aber auch für alle Inselbewohner.«
    »Ich kann Ihnen dabei helfen«, sagte ich. »Dazu muss ich Sie an einen bestimmten Ort führen. Ich weiß von einem Beweisstück, mit dessen Hilfe Sie für Gerechtigkeit sorgen können.«
    Die Sonne war fast untergegangen. Am Horizont waren nur noch ein paar orangerote und violette Streifen zu sehen. »Heute ist es leider schon zu spät«, sagte ich. »Können wir uns morgen früh am Strand vor dem Hotel treffen?«
    »Natürlich«, antwortete Genevieve mit einem dank baren Lächeln. »So früh Sie wollen.«
    »Sagen wir, um
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