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Eine wundersame Weihnachtsreise: Roman (German Edition)

Eine wundersame Weihnachtsreise: Roman (German Edition)

Titel: Eine wundersame Weihnachtsreise: Roman (German Edition)
Autoren: Corina Bomann
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unseren Betten. Ich konnte nicht viel mehr als einen Mantel mitnehmen – und dieses Märchenbuch, in dem ich den letzten Brief von meinem Kurt aufbewahrte. Mit dem Buch unterm Arm rannte ich ebenso wie meine Mutter und meine Geschwister in den Luftschutzkeller. Es war ein sehr schwerer Angriff. Die Kellerdecke stürzte teilweise ein, alles war voller Staub, so dass man das Gefühl hatte, sterben zu müssen. Ich presste das Buch an meine Brust, das Buch mit dem Brief, und dachte die ganze Zeit an Kurt. Und dann war es plötzlich, als würde mich jemand in die Arme nehmen. Meine Mutter war es nicht, sie hatte zu tun, meine kleinen Geschwister, die weinten und jammerten, zu trösten. Nein, da war niemand, der mich wirklich umarmte. Und doch … Ich war sicher, dass diese Umarmung von Kurt kam. Er war natürlich nicht da, aber vielleicht hatte er meine Angst gespürt. Vielleicht dachte er in diesem Augenblick an mich. Das half mir, diese Nacht zu überstehen. Nach zwei Stunden durften wir wieder raus aus dem Bunker – doch geblieben war von dem Haus über uns nichts mehr. Von einer Sekunde auf die andere hatte ich nur noch meinen Mantel, die Kleider, die ich trug – wir hatten uns angewöhnt, sie auch im Bett zu tragen, damit wir nicht im Nachthemd in den Luftschutzkeller mussten, und das Märchenbuch mit dem Brief von Kurt darin.
    Das war aber nicht die letzte Prüfung, der wir ausgesetzt waren. Auf dem Weg in die Nachbarstadt, wo wir hofften, eine Bleibe zu finden, wurden wir von Tieffliegern beschossen. Wir rannten um unser Leben, meine Mutter wurde ebenso wie zwei meiner Geschwister von einer Kugel getroffen – nicht tödlich, aber sie wurden schwer verletzt und brauchten sehr, sehr lange, um sich davon wieder zu erholen.
    Ein halbes Jahr später erfuhr ich, dass mein Kurt gefallen war. Aber nicht etwa im Sommer, als die Nachricht kam, nein, er wurde genau an Heiligabend von Partisanen erschossen. Ich war am Boden zerstört. Zu Weihnachten hatte ich doch eine ganz wunderbare Zeit verbracht, trotz aller Not. Ich hatte meinen Kurt in meinem Herzen gespürt, ich war sicher gewesen, dass er noch lebte. Und doch … er war bereits seit langem begraben, irgendwo auf einem Schlachtfeld. Das Einzige, was von ihm geblieben war, war seine Marke. Und sein Brief.
    Auf einmal wurde mir klar, warum ich in dem Luftschutzkeller und bei dem Angriff der Tiefflieger überlebt hatte. Warum ich das Gefühl gehabt hatte, dass ich bei allem Unglück, das ich erlebt habe, jemand bei mir war und mir geholfen hat. Man kann über Religion und das Jenseits denken, was man will, aber ich war davon überzeugt, dass es Kurt war, der sichergestellt hatte, dass ich am Leben blieb. Und es auch weiterhin tat. Natürlich begann ich nun, auf irgendwelche Zeichen zu achten, und je mehr ich darauf achtete, desto weniger wurden sie. Das brachte mich zum Verzweifeln, denn es schien, als hätte die Todesnachricht seinen Schutz ebenfalls ausgelöscht. Doch dann, in den folgenden Jahren, geschahen immer wieder Dinge, die mir halfen. Ich lernte einen neuen Mann kennen, mit dem ich mehr als fünfzig Jahre verheiratet war. Ich bekam Kinder und überstand schwere Geburten. Und immer, wenn ich in Not war, hatte ich das Gefühl, dass Kurt bei mir war und auf mich aufpasste. Nicht umsonst bin ich so alt geworden.«
    »Das ist eine sehr schöne Geschichte«, entgegnete Anna mit einem dicken Kloß im Hals.
    »Auf eine Art sicher. Glaubst du an Geister, Mädchen?«
    Anna wollte nein sagen, aber dann fielen ihr wieder die drei Damen ein, die es auf dem Bahnsteig geschafft hatten, plötzlich zu verschwinden. Sie sollte wirklich überprüfen, ob diese Frauen in dem Altenheim wohnten.
    »Wie man es nimmt«, entgegnete sie also ausweichend.
    »Also ich glaube zumindest daran, dass der Geist von meinem Kurt bei mir ist. Du bist die Erste, die von ihm erfährt. Ich habe weder meinen Kindern noch meinem späteren Mann etwas von ihm erzählt. Ich glaube, sein Schutz wird auf dich übergehen, wenn du den Brief gut aufbewahrst.«
    »Aber was ist dann mit Ihnen?«
    »Ich bin alt, und ich glaube, es wird Kurt gefallen, wenn er sich mal um eine junge Frau kümmern kann.« Sie lächelte verschmitzt in sich hinein. »Immerhin bist du diejenige, die abenteuerliche Reisen unternimmt.«
    Frau Hallmann griff über den Tisch und legte ihr ein Stück Kuchen auf den Teller. »Jetzt erzähl mir, was bei dir so los war – und ob du bei deinen Reisen vielleicht auch einen Kurt
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