Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Eine verlaessliche Frau

Titel: Eine verlaessliche Frau
Autoren: Robert Goolrick
Vom Netzwerk:
Catherine etwas ins Ohr geflüstert und auf den aufschimmernden Regenbogen gezeigt. Sie konnte immer noch, nach all diesen Jahren, den süßen Schweiß seines jungen Körpers in seiner makellosen Uniform riechen. Sie konnte sich besser daran erinnern als an alles andere in ihrer Kindheit, besser als an die Berge Virginias, die jenseits des Regenbogens lagen. Sie konnte fühlen, wie seine Stimme auf den dünnen Knochen ihrer Brust vibrierte, ein tiefes Prickeln unter ihrer Haut. Er flüsterte etwas von einem Topf voller Gold, der ganz sicher da auf sie wartete, am Ende des Regenbogens.
    Ein solches Wunder. Die Sonne hatte nie aufgehört zu scheinen und der Regen hatte aufgehört und ein prächtiger Sonnenuntergang war erblüht. Das betörende Licht verlieh jedem Gesicht eine Schönheit, und die Süße und Frische der Luft ließen die Herzen aller leichter werden. Sie saß zwischen ihrer Mutter, die noch nicht tot war, und einem Soldaten, der nicht ihr Vater war, in einem Landstrich, an den sie sich nicht mehr erinnern konnte, auf einer Straße, die sie kaum sah, und sie dachte: Ich bin absolut glücklich.
    Es war das letzte Mal in ihrem ganzen Leben, dass sie sich erinnerte, einen solchen Gedanken gehabt zu haben. Sie hatte keine Ahnung, wer diese Männer waren. Sie konnte sich nicht mehr daran erinnern, wohin sie fuhren oder aus welchem Grunde sie zusammen waren und was mit ihnen allen geschah, als sie ihr Ziel erreicht hatten. Irgendetwas Feierliches, die Bürgerkriegstoten, die zahllosen Jungs und Männer, deren Geister durch das Land zogen, irgendein Denkmal mit flatternden Fahnen, die gehisst wurden, und Trompeten und dem langen, langsamen Klang von Trommeln. Sie wusste nicht, wo ihr Vater an jenem Tag war, der ihre Mutter und sie allein zurückließ, die mit vier gut aussehenden Soldaten durch den Regen und Regenbögen und Sonnenuntergänge fuhren.
    Aber jetzt dachte sie an ihre bezaubernde Mutter, die bei der Geburt ihrer Schwester Alice starb, als sie sieben Jahre alt war, und sie fehlte ihr sehr. Sie erinnerte sich an die Männer. Sie erinnerte sich an ihren Geruch, daran, wie ihre jungen Arme die Ärmel der Uniformjacken ausfüllten und wie die weißen steifen Kragen an ihren ausrasierten Nacken schabten, diese Kratzlaute der Männlichkeit, und das war der Anfang gewesen, der Anfang von allem, was danach gekommen war.
    Es war, wie sie jetzt begriff, der Anfang des Verlangens. Es waren der Glanz, das Licht und die blutroten Wolken. Es war das Antlitz Jesu. Es war Liebe. Liebe ohne Ziel. Begierde ohne Objekt. Seitdem hatte sie das nie wieder erlebt oder gefühlt.
    Das war der Anfang gewesen, und sie war losgezogen, bis ihre Beine müde und ihre Mutter tot und ihr Herz gebrochen waren. Sie hatte weitergemacht ohne Liebe oder Geld, so unmöglich ihr das auch in dem einen oder anderen Augenblick erschienen war, und sich dabei immer gefragt, wann es denn nun beginnen würde, das großartige Ende, das zu dem großartigen Anfang passte.
    Sie lebte nicht mehr von der Vergangenheit. Dort warteten keine schönen Erinnerungen, außer diesem einen Regenbogen, dem Topf voller Gold. Sie hatte sich mit Zähnen und Klauen ihren Weg durchs Leben gebahnt, voller Zorn, und erbittert darum gekämpft, dass wieder etwas Gutes geschah. Es war noch nicht geschehen. So dass sie sich an dem Tag, als sie begriff, dass dieses Leben tatsächlich ihr Leben war, fragte, was es überhaupt sein konnte, das sie, Tag für Tag, weitertrieb, welche Ereignisse überhaupt es sein mochten, die die Stunden zwischen Schlaf und erneutem Schlaf ausfüllten. Aber in Augenblicken wie diesen, wenn alles so still war, dass sie das leichte Schwingen ihrer Ohrringe bemerkte, wusste sie zu ihrem Schrecken, dass die Antwort nicht » nicht viel « war, sondern schlicht und ergreifend » nichts « .
    Sie wollte und konnte nicht ohne Liebe oder Geld leben.
    Sie würde sich immer an jene gesichtslosen jungen Soldaten erinnern. Für immer würden sie jung bleiben. Sie würde den Glanz der Sonne, die durch die Wolken brach, und den Regenbogen hüten. Den Liebreiz ihrer Mutter würde sie nie vergessen. Aber wozu taugte das alles? Was nützte ihr das alles jetzt, während sie in einem Zug, der sie ins Nirgendwo trug, auf dem Seil zwischen dem Anfang und dem Ende balancierend vor einem Spiegel saß?
    Es klopfte leise an die Tür. Der Schaffner, der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher