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Eine verlaessliche Frau

Titel: Eine verlaessliche Frau
Autoren: Robert Goolrick
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ihr die Mahlzeiten gebracht und ihr das Bett bereitet hatte, schob sein dunkles, hübsches Gesicht in ihr Abteil. »In einer halben Stunde sind wir am Bahnhof, Miss.«
    Â»Danke«, sagte sie leise, wobei sie ihren Blick nicht von dem faszinierenden Spiegel abwandte. Die Tür schloss sich, und sie war wieder allein.
    Vor sechs Monaten hatte sie Ralph Truitts Kontaktanzeige entdeckt, als sie sonntags am Tisch mit dem Kaffee und der Zeitung saß:
    GESCHÄFTSMANN AUF DEM LAND SUCHT
    EINE VERLÄSSLICHE FRAU.
    GRÜNDE SIND PRAKTISCHER,
NICHT ROMANTISCHER NATUR.
    BITTE PER BRIEF ANTWORTEN.
    RALPH TRUITT, TRUITT, WISCONSIN.
    DISKRET.
    Â»Verlässliche Frau.« Das war neu, und sie lächelte. In ihrem Leben hatte sie vielleicht schon Tausende solcher Anzeigen gelesen. Das war ein Hobby von ihr, wie Stricken. Von diesen Anzeigen wurde sie gepackt, diese einsamen Männer, die sich aus der endlosen Wildnis dieses Landes zu Wort meldeten. Manchmal wurden diese Anzeigen auch von Frauen in die Zeitung gesetzt, die Stärke suchten, Geduld oder Güte oder schlicht Höflichkeit.
    Sie lachte über ihre Geschichten, über ihre Mitleid erregende Tollkühnheit. Sie baten darum und fanden wahrscheinlich auch jemanden, der genauso einsam und verzweifelt war wie sie selbst. Wie konnten sie sich mehr erhoffen? Die Hinkenden und Lahmen, die nach den Blinden und Hoffnungslosen riefen. Catherine fand es einfach zu komisch.
    Dennoch nahm sie an, dass sich diese Männer und diese Frauen durch ihre traurigen kleinen Hilferufe nach Trost tatsächlich fanden. Wenn schon nicht Liebe oder Geld, so fanden sie doch wenigstens ein anderes Leben, an das sie sich klammern konnten. Anzeigen wie diese erschienen jede Woche. Diese Leute mochten die Einsamkeit ihres Lebens nicht. Vielleicht fanden sie schließlich, zumindest einige von ihnen, ein Leben, das ihnen besser gefiel.
    Am Abend vorher, kurz vorm Einschlafen, sah sie sich plötzlich von oben, wie sie in ihrem Bett lag, und das Frösteln der Einsamkeit und des Todes umgab sie wie ein Nimbus der Trostlosigkeit. Sie schwebte in der Luft und sah auf sich selbst herab. Sie hatte gefühlt – und fühlte es immer noch –, dass sie sterben würde, wenn nicht jemand Liebenswürdiges kam, der sie voller Zuneigung berührte. Wenn nicht jemand auftauchte, der sie vor den Stürmen ihres grässlichen Lebens beschützte.
    Es war Ralph Truitts kurze und knappe Anzeige, die das Versprechen eines Anfangs enthielt, eines nicht allzu großartigen vielleicht, aber eines Neuanfangs. »Ich bin eine einfache, ehrliche Frau«, hatte sie geschrieben, und er hatte postwendend geantwortet. Sie hatten sich den ganzen heißen Sommer lang geschrieben, vorsichtige Beschreibungen ihres Lebens. Seine Handschrift war grobschlächtig und überzeugend, ihre geübt und elegant, wie sie hoffte, und verführerisch. Schließlich hatte sie das Photo geschickt, und er hatte noch ausführlicher geschrieben, als wäre bereits alles beschlossen, ihre ganze Beziehung. Sie hatte sich zögernd gegeben, bis er fordernder wurde und ihr eine Fahrkarte schickte, damit sie den Zug nahm, der sie zu ihm bringen sollte, damit sie seine Frau wurde.
    Der junge Soldat, der neben ihr in der Kutsche gesessen hatte, wäre jetzt selbst schon alt. Sie konnte immer noch sehen, wie sein Daumen aus seiner Handfläche ragte, fühlen, wie sein Schenkel ihren Schenkel berührte, als er sich zu ihr vorbeugte. Vielleicht hatte er jetzt eine Frau und eigene Kinder. Vielleicht liebte er sie und behandelte sie voller Güte, Anstand und Zuneigung. Die Welt hatte ihr nicht gerade bewiesen, dass diese Dinge weit verbreitet waren, aber sie hatte ihr Unglück nur ertragen können, weil sie mit Gewissheit wusste, dass irgendwo Menschen lebten, deren Leben nicht so war wie ihr eigenes.
    Vielleicht war dieser Ralph Truitt einer von jenen anderen Menschen. Vielleicht wäre dieses Leben, das er ihr bot, irgendwie ein anderes Leben. Die Sonne sank jeden Tag. Es konnte nicht sein, dass sie nur ein einziges Mal in ihrem Leben in einer solchen Pracht sank.
    Noch eine halbe Stunde. Sie erhob sich von der Frisierkommode, stieg aus ihren roten Seidenpumps und stellte sie nebeneinander. Schnell begann sie, die bestickte Jacke ihres eleganten Reisekostüms aufzuknöpfen und warf sie hinter sich auf den Boden. Dann zog sie ihre Seidenbluse und den schweren roten Samtrock aus. Sie
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