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Eine undankbare Frau

Eine undankbare Frau

Titel: Eine undankbare Frau
Autoren: Karin Fossum
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betrachtete den alten Mann. Es verwunderte ihn, wie ein so magerer Körper solche Mengen von Blut enthalten konnte. Aus bisher unerfindlichen Gründen war ihm das Blut aus allen Körperöffnungen geflossen. Es war aus Mund und Nase gequollen und hatte seine Kleidung durchtränkt.
    »Sieht aus, als wäre er beim Essen gestorben«, sagte Skarre und wies mit dem Kopf auf einen blauen Plastikbehälter, der auf dem Tisch stand. Auf dem Boden befanden sich noch Essensreste, und der Deckel und ein Löffel lagen daneben.
    »Was um Himmels willen ist hier passiert?«, fragte er.
    »Keine Ahnung«, sagte Sejer. »Wir müssen warten, was Snorrason herausfindet. Er ist schon unterwegs. Er wird das bestimmt aufklären.«
    Er zog sich einen Stuhl heran, setzte sich und sah sich im Zimmer um.
    »Das muss eine Art medizinisches Phänomen sein«, meinte er. »Von inneren Blutungen habe ich zwar schon einmal gehört. Aber das hier ist doch was ganz anderes. Sogar sein Zahnfleisch hat geblutet, das hat doch diese thailändische Pflegerin erzählt. Was hat das zu bedeuten?«
    Sie schwiegen eine Weile und hingen ihren Gedanken nach. Sie hörten die Techniker draußen herumlaufen und im Gras nach Spuren suchen. Es kommt vor, dass der Tod schön ist, dachte Sejer und musterte den alten Mann, der mit offenem Mund, starrem Blick und blutverschmiertem Körper im Sessel saß. Es kommt vor. Aber nicht oft.
    Eine halbe Stunde verstrich. Dann bog ein Moped knatternd in die Rolandsgate. Sejer ging ans Fenster und sah hinaus. Ein Junge auf einem Moped hielt vor dem Haus. Nervös sah er zu den Streifenwagen hinüber, zögerte ein paar Sekunden lang, dann nahm er den roten Helm ab. Hängte ihn über den Lenker und blieb erst einmal verwirrt stehen und sah sich um.
    »Da kommt Johnny Beskow«, sagte Sejer. »Roter Helm. Mit kleinen Flügeln an den Seiten.«
    Sie gingen hinaus, um ihn in Empfang zu nehmen.
    Sejer fielen mehrere Dinge auf. Bei dem Moped handelte es sich um eine Suzuki Estilete. Der Junge war klein und schmächtig und hatte dunkle, halblange Haare. Er hatte eine blasse, fast papierene Haut und große dunkle Augen, die ungeheuer traurig aussahen.
    »Hallo«, sagte Sejer. »Du bist Johnny Beskow. Und Henry ist dein Großvater?«
    Der Junge gab keine Antwort. Er steuerte auf die Treppe zu und wollte ins Haus gehen.
    »Geh da nicht rein, wenn dir leicht schlecht wird«, sagte Sejer. »Hörst du mir überhaupt zu? Die Pflegerin hat ihn gefunden«, fügte er hinzu. »Weißt du, ob er krank war?«
    Johnny Beskow lief einfach weiter. Mit zügigen Schritten lief er durch die Küche zum Sessel des alten Mannes. Dort blieb er zitternd stehen und schlug sich die Hand vor den Mund.
    »Er ist beim Essen gestorben«, sagte Sejer. »Hat er außer dir und der Pflegerin noch andere Besucher gehabt?«
    Johnny Beskow sah ihn aus seltsam leuchtenden Augen an. »Jemand hat ihm Essen gebracht«, sagte er. »Ich kenne den blauen Behälter.«
    »Woher kennst du den?«
    »Der gehört Mama«, flüsterte Johnny. »Das ist Mamas Eintopf. Und er hat fast alles aufgegessen.«
    »Sollte er das denn nicht?«, fragte Sejer.
    Johnny Beskow trat ans Fenster und stützte sich auf die Fensterbank.
    »Sie hatte es auf sein Geld abgesehen«, sagte er. »Mama hatte es immer auf sein Geld abgesehen. Und jetzt hat sie ihm Essen gebracht.«
    »Johnny«, sagte Sejer. »Wir beide müssen miteinander reden. Wir müssen über viele Dinge reden. Weißt du, was ich meine?«
    Johnny drehte sich vom Fenster weg. Er ging durch den Raum und ließ sich auf einen Plastikpuff fallen, der neben dem Sessel lag.
    »Ihr müsst mit Mama reden«, flüsterte er. »Sie hat ihm das Essen gebracht.«
    Er zog die Handschuhe aus und legte sie sich auf die Knie.
    »Schöne Handschuhe«, sagte Sejer. »Mit Totenkopf und so. Du bist uns immer wieder durch die Finger gerutscht, Johnny.«
    »Sie können mich fragen, was Sie wollen«, sagte Johnny. »Sie können mir Handschellen anlegen, und wir können uns bis morgen früh unterhalten. Wir können ein ganzes Jahr lang reden und ich werde alles zugeben. Aber ich war nicht oben bei Schillinger. Ich habe die Hunde nicht raus gelassen.«
    S norrason rief aus der Rechtsmedizin an.
    »Das Essen in dem blauen Behälter enthielt große Mengen eines Stoffes namens Bromadiolon.«
    »Das sagt mir nichts«, sagte Sejer. »Auf Norwegisch bitte.«
    »Das ist derselbe Wirkstoff wie in Rattengift. Er verhindert die Blutgerinnung«, sagte Snorrason. »Man verblutet praktisch.
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