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Eine undankbare Frau

Eine undankbare Frau

Titel: Eine undankbare Frau
Autoren: Karin Fossum
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streiten, dachte sie. Sollen sich andere Paare doch scheiden lassen, aber uns wird das nicht passieren, wir sind so viel klüger. Wir haben begriffen, dass Liebe eine Pflanze ist, die gepflegt werden muss. Sie hörte oft den blöden Spruch, dass Liebe blind macht. Aber sie war noch nie zuvor in ihrem Leben so klar gewesen, hatte noch nie zuvor so kompromisslos ihre Werte vertreten. Sie lief ins Badezimmer und fuhr sich mit einer Bürste durch die Haare. Ihre Wangen waren rot und ihre Augen glänzten. Verantwortlich dafür waren ihre Erregung, weil ihr Mann nach Hause gekommen war, die Wärme des Backofens und die tiefstehende Julisonne, die durch die Fensterscheiben schien. Als er die Küche betrat, begrüßte sie ihn mit einer Flasche Mineralwasser in der Hand und mit einem kleinen, eleganten Hüftschwung. Er hatte die Post in der Hand, Zeitungen und Briefumschläge mit Fenster. Er legte alles auf die Anrichte. Dann schlenderte er zum Herd, ging in die Hocke und schaute durch die Glasscheibe.
    »Das sieht ja lecker aus«, sagte er. »Ist das schon fertig?«
    »Ja, ich glaube schon«, sagte sie. »Margrete schläft«, fügte sie hinzu. »Draußen, im Wagen. Sie schläft jetzt schon ziemlich lange. Wir sollten sie vielleicht wecken, sonst wird es heute Nacht schwierig.«
    Doch dann überlegte sie es sich anders, neigte den Kopf zur Seite und sah ihren Mann durch dichte schwarze Wimpern an.
    »Wir könnten auch bis nach dem Essen warten, dann sind wir ganz ungestört. Hähnchen und Pfifferlinge«, lockte sie und nickte zur Ofentür hinüber. Sie streifte sich Grillhandschuhe über, hob die Pastete aus dem Ofen und stellte sie auf einem Rost ab.
    Die Form war glühend heiß.
    »Sie wird es uns bestimmt verzeihen«, sagte der Mann.
    Seine Stimme war tief und rau. Er richtete sich zu seiner vollen Größe auf, legte ihr die Arme um die Taille und schob sie vor sich her. Sie lachten, denn sie trug ja noch die Grillhandschuhe, und er hatte diesen Ausdruck in den Augen, den sie so liebte, einen Blick, dem sie nie widerstehen konnte. Er schob sie weiter durchs Wohnzimmer. Vorbei am Esstisch und weiter zum Sofa.
    »Karsten«, flüsterte sie. Aber das war nur ein schwacher Protest. Sie war wie Teig zwischen seinen Händen.
    »Lily«, flüsterte er und ahmte ihren Tonfall nach.
    Sie ließen sich aufs Sofa fallen.
    Vom Kind unter dem Baum war kein Laut zu hören.
    Danach aßen sie schweigend.
    Er verlor kein Wort über das Essen oder über den schön gedeckten Tisch, aber er sah sie voller Anerkennung an. Lily, sagte sein Blick, was du alles kannst. Er hatte grüne Augen, die waren groß und klar. Sie versuchte, nicht zuviel zu essen, obwohl ihr die Pastete gut schmeckte, denn sie war schlank, und das wollte sie auch bleiben. Karsten war ebenfalls schlank. Seine Oberschenkel waren hart wie Stein. Er hatte dicke braune Haare, die immer ein wenig zu lang im Nacken waren, er sah frech damit aus und das erregte sie. Sie konnte sich kaum vorstellen, dass er eines Tages in die Breite gehen und seine sportliche Figur verlieren würde, und kurz darauf die Haare, so wie es vielen Männern erging, wenn sie sich der Vierzig näherten. Aber das passierte nur den anderen, sie waren davon nicht betroffen. Ihnen konnte nichts etwas anhaben, weder die Schwerkraft noch der Zahn der Zeit.
    »Räumst du den Tisch ab?«, fragte sie, als sie fertig waren. »Dann hole ich Margrete.«
    Sofort sprang er auf und begann, die Teller und Gläser ineinander zu stellen.
    Seine Bewegungen waren schnell und ein wenig zu schwungvoll, das Porzellan klirrte in seinen Händen, und sie hielt ängstlich die Luft an, denn sie hatten das Service von Margretes französischer Urgroßmutter geerbt. Sie ging in die Diele, um sich Schuhe anzuziehen. Dann öffnete sie die Tür und spürte die Wärme der Sonne, dazu eine sanfte Brise und den Geruch von Gras und Wald. Sie bog ums Haus und ging auf den Ahornbaum zu.
    Ein furchtbares Gefühl traf sie plötzlich wie ein Schlag.
    Sie hatte die Kleine für einen Augenblick aus ihrem Bewusstsein verbannt.
    Sie beeilte sich, um es wiedergutzumachen. Mit dem Wagen stimmte etwas nicht, er stand zwar noch genauso da, wie sie ihn abgestellt hatte, dicht vor dem Stamm des Ahornbaumes, aber die Decke war zerwühlt. Wahrscheinlich hatte das Kind sie weggestrampelt, in so einem kleinen Wesen steckt ja so viel Energie, dachte sie, während sie gegen ihre Angst ankämpfte. Denn jetzt sah sie das Blut. Als sie die Decke wegriss, wurde sie starr
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