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Eine undankbare Frau

Eine undankbare Frau

Titel: Eine undankbare Frau
Autoren: Karin Fossum
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sitzt.«
    Eines Nachmittags informierte der wachhabende Beamte Sejer darüber, dass Johnny Beskow seiner Meldepflicht nicht nachgekommen war und auch nicht ans Telefon ging. Ein Streifenwagen hatte bei ihm zu Hause in Askeland nachgesehen. Aber die Wohnung war leer. Die Suzuki war weg. Nur der kleine champagnerfarbene Hamster irrte durch sein rotgelbes Plastiklabyrinth.
    »Ich mache mir Sorgen«, sagte Sejer.
    »Warum das?«, fragte Skarre.
    »Bisher war er immer pünktlich. Und er hat sehr viel auf dem Gewissen. Vielleicht hätten wir ihn doch in U-Haft stecken sollen, um ihn besser im Auge behalten zu können.«
    Er wartete auf einen Anruf, die Nachricht, dass Johnny einfach geschwänzt hatte. Er versuchte, seine Arbeit zu tun, war aber unkonzentriert. Als wäre ich verantwortlich für ihn, dachte er, doch das bin ich gar nicht. Aber er nennt mich Opa. Und das beeindruckt mich. Nach Feierabend, als sie noch immer nichts von Johnny Beskow gehört hatten, fuhr Sejer zum Ärztehaus, wo er sich endlich einen Termin hatte geben lassen. Wegen der Schwindelanfälle, die nicht nachließen und ihm noch immer Sorgen machten.
    Er ging hinein und setzte sich ins Wartezimmer. Dann griff er nach einer Zeitschrift und fing an darin zu blättern. Aber in Wirklichkeit dachte er nur darüber nach, was ihm vielleicht fehlte. Verstopfte Adern im Nacken, die die Blutzufuhr zum Gehirn einschränkten. Und was machen sie dann, fragte er sich, können sie die Verstopfung lösen, damit das Blut wieder fließen kann? Er rief sich mit seiner äußerst strengen inneren Stimme zur Ordnung. Jetzt werden wir das jedenfalls ein für allemal klären, dachte er. Jetzt bleibe ich hier sitzen und gleich höre ich das Urteil. Das wird Ingrid freuen.
    Erneut versuchte er zu lesen. Die Buchstaben wimmelten umher wie Ameisen. Wie lange habe ich schon diese plötzlichen Schwindelanfälle? Das Gefühl, dass sich alles dreht und der Boden schwankt. Das wird mich der Arzt fragen und ich muss ihm antworten können. Und dann wird er nach Krankheiten in der Familie fragen. Aber in seiner Famil ie gab es keine Gebr echlichkeiten. Sie waren alle starke, hochgewachsene Menschen, die sich bester Gesundheit erfreuten und sehr alt wurden. Aber sie werden Proben nehmen müssen, und ich muss auf die Ergebnisse warten. Vierzehn Tage oder drei Wochen dauert das, denn sie schicken die Proben ins Labor. Und in der Zeit sitze ich im Vakuum, während meine Phantasie auf Hochtouren arbeitet. Und wie die arbeitet. Könnte es ein Gehirntumor sein?
    Ein Name wurde aufgerufen und eine Frau stand auf und ging ins Sprechzimmer. Ja, ja, dachte Sejer und schaute auf seine Armbanduhr. Ich warte hier mindestens noch eine Stunde. Er stand auf und holte sich Wasser aus einem Kühler, es war kalt und erfrischend. Als er sich wieder hingesetzt hatte, brummte sein Handy in der Jackentasche. Er sprang auf und lief ein paar Schritte. Hörte Skarres atemlose Stimme.
    »Wir haben Johnny gefunden«, sagte er. »Oben beim Sparbodam.«
    Sejer stieß die Tür auf. Die kalte Luft trieb ihm Wasser in die Augen.
    »Ja, und was treibt er da oben? Ist etwas passiert?«
    »Er treibt mit dem Gesicht nach unten im Wasser.«
    Sekundenlanges Schweigen.
    »Hat er sich ertränkt? Willst du mir das sagen?«
    »Das wissen wir noch nicht. Aber es kann noch nicht lange her sein. Seine Suzuki steht an einen Baum gelehnt«, sagte Skarre. »Ein Mann von den Wasserwerken hat ihn gefunden, er sollte das Stautor überprüfen. Wo bist du eigentlich? Hast du zu tun? Kannst du kommen?«
    Sejer drehte sich um und sah zum Ärztehaus hoch. Die breite Doppeltür mit dem Milchglas. Was hatte sein Schwiegersohn Erik, der Arzt war, noch über die Schwindelanfälle gesagt? Es könnte eine Nebenwirkung von Medikamenten sein. Aber er nahm ja gar keine Medikamente. Oder ein plötzliches Sinken des Blutdrucks, wenn er zum Beispiel lange gesessen hatte und zu schnell aufstand. Und dann gab es die so genannte Kristallkrankheit, offenbar eine Krankheit im Innenohr. Ganz zu schweigen von der Menièreschen Krankheit, einem chronischen Leiden mit heftigen Schwindelanfällen, au f die Gehörverlust und Ohrens ausen folgen.
    Aber es ist bestimmt nur ein Virus, dachte er. Eines, das das Gleichgewichtsorgan befallen hat.
    Das Virus kommt und geht. Wir machen das ein anderes Mal.
    Dann lief er zu seinem Auto.
    Johnny Beskow bot einen traurigen Anblick.
    Ein dünner bläulicher Körper mit langen nassen Haarsträhnen in Stirn und Gesicht. Schmale
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