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Eine undankbare Frau

Eine undankbare Frau

Titel: Eine undankbare Frau
Autoren: Karin Fossum
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von dem Jungen bekommen. Die sind Freunde wie Busen.«
    »Sie meinen Busenfreunde«, korrigierte Sejer.
    Mai Sinok lächelte, wurde aber gleich wieder ernst.
    »Darf ich jetzt gehen?«, bat sie. »Ich fühle mich so schwach.«
    »Sie können gleich gehen«, sagte Sejer. »Aber wir haben später bestimmt noch weitere Fragen an Sie. Das verstehen Sie bestimmt. Meine Leute fahren Sie nach Hause.«
    Das Angebot schlug sie ab. Sie wollte den Bus nehmen, so wie immer. Der hielt unten an der Rolandsgate und fuhr häufig.
    Sejer lief durch Beskows kleines Wohnzimmer.
    »Es war furchtbar«, sagte Mai Sinok. »Plötzlich blutete er aus allen Öffnungen. Etwas in ihm muss geplatzt sein.«
    Sejer sah sich die Fotos an, die an der Wand hingen, Fotos von einem kleinen Jungen.
    »Ist das sein Enkel?«, fragte er. »Der kleine Wicht auf dem Dreirad?«
    »Ja, das ist er. Wie blond er damals war. Jetzt ist er ganz dunkel.«
    »Und der mit der Schultasche?«
    »Ja. Und da ist er auf seinem Moped. Mit Handschuhen und Helm und allem. Das Moped hat er von Henry geschenkt bekommen. Henry ist nämlich sehr großzügig.«
    »Sieht aus wie eine Suzuki«, kommentierte Sejer. »Wie heißt der Knabe denn?«
    »Er heißt Johnny«, antwortete Mai. »Johnny Beskow.«
    I love Johnny, dachte Sejer und sah aus dem Fenster hinüber zu Asbjørn Meiners Haus.
    »Ob es da einen Zusammenhang gibt«, murmelte er.
    »Was meinst du damit? Was für einen Zusammenhang?«, fragte Skarre.
    »Zwischen den Ereignissen der vergangenen Wochen.«
    »So einen Zusammenhang gibt es nicht«, meinte Skarre und sah seinen Vorgesetzten an. »Jedenfalls nicht im wirklichen Leben. Was genau meinst du denn?«
    »Wir haben doch nach einem Jungen mit einem roten Moped gesucht«, sagte Sejer. »Und hier hängt ein Foto eines Jungen mit einem roten Moped an der Wand. Stell mal fest, ob Johnny Beskow ein Handy hat.«
    Skarre rief bei der Auskunft an und notierte sich die Nummer.
    Sejer wandte sich an Mai Sinok.
    »Sie rufen jetzt bitte Johnny Beskow an«, sagte er. »Sagen Sie ihm, dass er unbedingt in die Rolandsgate kommen muss und dass es sehr wichtig ist. Aber erwähnen Sie uns nicht und erzählen Sie ihm nicht, was passiert ist. Kein Wort von Polizei oder so.«
    Mai Sinok bekam Skarres Telefon und führte die einfache Aufgabe aus, ohne zu protestieren oder Fragen zu stellen. Danach begleitete Sejer sie nach draußen.
    Aus den Augenwinkeln bemerkte er ein Mädchen, das auf einer kleinen Felskuppe am Straßenrand saß und das Geschehen beobachtete. Vielleicht hatte sie schon länger dort gesessen und das ganze Drama bei Beskows Haus miterlebt. Er hob die Hand und winkte, und Else Meiner winkte zurück. Auch Mai Sinok hob ihre kleine weiße Hand und winkte zum Abschied.
    Sejer ging zur Felskuppe und sah hoch.
    »Hallo, Else Meiner«, sagte er. »Wie geht’s denn so?«
    Die Antwort war kurz und bündig.
    »Mir geht’s gut. Die Frisur ist spitze.«
    Er nickte.
    »Stimmt, die ist spitze. Hast du was Verdächtiges hier auf der Straße gesehen?«, fragte er.
    Sie lächelte strahlend.
    »Johnny kommt oft«, sagte sie. »Mehrmals in der Woche. Aber der ist ja nicht verdächtig.«
    »Genau«, sagte Sejer. »Johnny Beskow.«
    »Das ist Henrys Enkel«, erläuterte sie.
    »Genau. Der mit dem roten Moped. Auf den warten wir gerade, er ist unterwegs. Sonst noch jemand?«, fragte Sejer.
    »Diese kleine Frau aus Thailand, die eben weggegangen ist. Weiß nicht, wie sie heißt. Aber sie versorgt ihn, glaube ich. Sie kommt jeden Tag, mit dem Bus um acht. Auch sonntags. Vielleicht weiß sie nicht, dass hier alle sonntags frei haben.«
    Sie nickte zu den Streifenwagen und den beiden Technikern.
    »Ist Henry tot?«, fragte sie dann.
    »Ja«, sagte Sejer. »Der alte Henry Beskow ist tot. Hast du hier noch andere Leute gesehen?«, fragte er. »Fremde?«
    Else Meiner nickte.
    »Vor einer Weile war ein Mann hier, mit Fensterrahmen«, sagte sie. »Solche mit Fliegengittern. Und dann war vor so drei, vier Tagen eine Frau hier. Naja, sie ist nicht gerade eine Fremde, ich habe sie schon mal gesehen. Sie trug so einen gefleckten Pelzmantel und war nicht ganz sicher auf den Beinen. Das war schon ein komischer Anblick.«
    »Weißt du, wer das ist?«, fragte Sejer.
    »Henry Beskows Tochter.«
    Sejer prägte sich diese Mitteilungen ein und machte vor Else Meiner eine tiefe Verbeugung. Dann ging er zurück ins Haus. Durch die Küche, ins Wohnzimmer und dann zum Sessel des Toten. Dort blieb er stehen und
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