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Eine skandaloese Liebesfalle

Titel: Eine skandaloese Liebesfalle
Autoren: Sherry Thomas
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reizvoll und beeindruckend, da der Steilhang praktisch senkrecht abfällt, und wohin der Blick sich auch richtet, nur Schönheit
    Elissande sah es klar vor sich: die Insel-Capri, die sich sirenengleich aus dem Mittelmeer erhob. Sie selbst ging dort spazieren, folgte dem Weg entlang der felsigen Küste. Ihr Haar wehte im Wind, und in einer Hand hielt sie einen Strauß wilder Nelken. Die einzigen Geräusche um sie herum waren das Rauschen der Wellen und die Schreie der Möwen. Es war niemand in der Nähe, nur die Fischer am Strand, die ihre Netze flickten. Sie empfand nichts als die reine Freude und Unbeschwertheit vollkommener Freiheit.
    Erst in letzter Sekunde fing sie ihre Tante auf, als die von dem Sitz des Wasserklosetts kippte.
    Es war mehr als achtundvierzig Stunden her, seit Tante Rachel das letzte Mal Stuhlgang gehabt hatte - die Folge ihrer Bettlägerigkeit. Elissande hatte ihre Tante überredet, sich nach dem Mittagessen für eine Viertelstunde auf das Klosett zu setzen, während sie ihr laut aus einem Reiseführer über Süditalien vorlas, um ihr die Zeit zu vertreiben. Aber entweder aufgrund ihrer wenig aufregenden Vortragsweise oder aufgrund des Laudanums, das sie ihr einfach nicht abgewöhnen konnte, war Tante Rachel eingeschlafen - und die Schüssel unter ihr war immer noch beunruhigend leer.
    Halb zog sie, halb trug sie Tante Rachel aus der Kammer mit dem Wasserklosett. Die ältere Frau wog in ihren Armen wenig mehr als ein Bündel Stöcke - und ihre Bewegungen und deren Koordination waren entsprechend. Und da es die Spezialität ihres Onkels war, herauszufinden, was die von ihm Abhängigen am wenigsten mochten, um sie genau dem in der Folge immer wieder auszusetzen, roch Tante Rachels Nachthemd stark nach Nelken - ein Geruch, den sie aus tiefster Seele verabscheute.
    Den sie verabscheut hatte. Denn seit vielen Jahren befand sich Tante Rachel nunmehr nahezu ununterbrochen im Laudanum-Rausch und bemerkte daher wenig, solange sie nur pünktlich ihre nächste Dosis der Tinktur erhielt. Aber Elissande war es nicht egal - sie hatte ein geruchloses Nachthemd aus ihrem Zimmer mitgebracht.
    Behutsam legte sie ihre schläfrige Tante aufs Bett, wusch sich die Hände und wechselte dann das Nachthemd ihrer Tante; schließlich sorgte sie noch dafür, dass sie auf ihrer rechten Seite lag. Sie führte sorgfältig Buch darüber, wie viele Stunden Tante Rachel auf jeder Seite schlief. Es geschah so leicht, dass Menschen, die den Hauptteil ihrer Zeit im Bett verbringen mussten, sich wund lagen.
    Sie steckte die Decke um die Schultern der älteren Frau fest und holte den Reiseführer, der in ihrer Hast, ihre Tante aufzufangen, zu Boden gefallen war. Sie hatte die Seite verschlagen, aber das war nicht wichtig. Sie las genauso gern über das liebliche Manfredonia an der Adriaküste, das der Sage nach von einem Helden des Trojanischen Krieges gegründet worden war.
    Das Buch flog ihr aus der Hand und krachte gegen das Bild, das gegenüber vom Bett ihrer Tante an der Wand hing - das Bild, das Elissande sich größte Mühe gab, nicht anzusehen. Anschließend fiel es dumpf zu Boden. Vor Schreck schlug sie sich die Hand vor den Mund. Danach wandte sie den Kopf und blickte zu Tante Rachel. Aber ihre Tante hatte sich nicht gerührt.
    Elissande hob das Buch rasch wieder auf und umklammerte es fest. Vor drei Tagen erst hatte sie ihre Haarbürste genommen und ihren Handspiegel damit zertrümmert. Und vor zwei Wochen hatte sie lange auf eine Schachtel Arsen - Rattengift - gestarrt, die sie in einem Besenschrank entdeckt hatte.
    Sie fürchtete, dass sie allmählich den Verstand verlor.
    Sie hatte nicht die Krankenpflegerin ihrer Tante werden wollen. Eigentlich hatte sie vorgehabt, das Haus zu verlassen, sobald sie alt genug war, um irgendwo eine Anstellung zu finden.
    Aber das hatte ihr Onkel gewusst. Er hatte Pflegerinnen ins Haus geholt, damit sie sehen konnte, wie Tante Rachel sich ängstlich vor ihnen verkroch und unter ihrer groben, vermeintlich medizinisch korrekten Behandlung weinte. Es war ihr nichts anderes übrig geblieben als einzuschreiten, sodass sich Treue und Dankbarkeit, sonst durchaus erfreuliche Dinge, in hässlich rasselnde Ketten verwandelten, die sie an dieses Haus fesselten, an dieses Leben unter seiner Fuchtel.
    Zur Flucht blieben ihr einige wenige Bücher, wenn sich ihre Gedanken nicht um die Regelmäßigkeit oder das Ausbleiben des Stuhlgangs ihrer Tante drehten. Doch nun hatte sie ihren kostbaren Reiseführer
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