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Eine Nacht, Markowitz

Eine Nacht, Markowitz

Titel: Eine Nacht, Markowitz
Autoren: Ayelet Gundar-Goshen
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Körperbehaarung. Bei Anbruch des Tages stand er nackt und bloß vor der Leere.
    Die Jahre vergingen. Das Haar des Irgun-Vizechefs wuchs nach, und sein Herz verhärtete sich mehr und mehr. Während er in seinem Zimmer den beiden Männern gegenübersaß, befingerte er unwillkürlich eine dichte, drahtige Haarsträhne. Als er es merkte, ließ er sie sofort los. Eine so weichliche, so sentimentale Gebärde gehörte sich nicht für einen Irgun-Vizechef. Um die Scharte auszuwetzen, wählte er eine ausgesprochen männliche Geste, die stellvertretende Organisationschefs jeglicher Art auszeichnet, und haute kräftig auf den Tisch. Seev Feinberg und Jakob Markowitz wandten ihm die Augen zu, Ersterer neugierig, Letzterer ehrfürchtig. Nachdem der Irgun-Vizechef ohne triftigen Grund auf den Tisch gehauen hatte, musste er sich nun rasch etwas zu sagen einfallen lassen. »Also, dann sitzt ihr jetzt ja wohl ordentlich in der Patsche.« Jakob Markowitz und Seev Feinberg nickten zustimmend. Dieser Irgun-Vizechef hatte die seltene Fähigkeit, selbstverständliche Dinge so zu benennen, dass sie taufrisch klangen. »Dieser Mandelbaum, wird der euch bis nach Tel Aviv nachjagen?«
    »Bis Tel Aviv?«, dröhnte Seev Feinberg. »Er würde uns bis ans Rote Meer verfolgen, wenn nötig!« Der Irgun-Vizechef und Seev Feinberg brachen in Gelächter aus. Jakob Markowitz seufzte leise.
    »Hau mich da raus, Freuke«, sagte Seev Feinberg. »Ich liebe das, was ich da zwischen den Beinen hab, einfach zu sehr, um es dem Messer eines Schächters zu überlassen.«
    »Klar hau ich dich da raus, Feinberg. Wozu sind Freunde denn da, wenn nicht, um einander die Eier zu retten. Obwohl ich hinsichtlich des Kameraden hier nicht so sicher bin. Er scheint mir ohnehin kaum Gebrauch von ihnen zu machen.« Der Irgun-Vizechef fing wieder an zu lachen. Seev Feinberg schloss sich ihm an, was der Irgun-Vizechef als begeisterte Zustimmung und Jakob Markowitz als Höflichkeitsgeste wertete. Als sie den begrenzten Gebrauch, den Jakob Markowitz von seinen Hoden machte, ausreichend erörtert hatten, wurde der Irgun-Vizechef ernst und beugte sich über den Tisch zu ihnen vor: »Feinberg, ich schick dich nach Europa.«
    Auf Seev Feinbergs Gesicht trat ein Ausdruck, den man bei anderen Zeitgenossen Verwirrung hätte nennen können. Aber Seev Feinberg, neunzig Kilogramm Kühnheit und Muskeln, den Schnauzer nicht mitgerechnet, war kein Mensch, der leicht aus dem Konzept geriet. Die Verwirrung huschte rasch über sein Gesicht, ohne darin Halt zu finden. Sie rann aus den blauen Augen und aus dem Mund, der ungerührt weiterlächelte, und aus den dicken Brauen. Nur am Schnauzer konnte sie sich festklammern, und so hängte sich die Verwirrung an Seev Feinbergs rechte Schnauzbartspitze, die sich bei Vernehmen des Wortes »Europa« seltsam sträubte.
    »Mein Gott, Freuke, wenn das noch eins von deinen Salzhering-Spielchen ist, reiß ich dir die Zunge raus.« Der Irgun-Vizechef und Seev Feinberg brachen in ein verschwörerisches, Fische einsalzendes Lachen aus. Jakob Markowitz bemühte sich, im Geist zu ergänzen, was ihm entging, und höchst wahrscheinlich war die Geschichte, die er sich ausdachte, weit eindrucksvoller als die tatsächlich geschehene.
    »Nein, Feinberg, ehrlich, kein weiterer Salzhering.« Der Irgun-Vizechef wischte sich die Lachtränen aus den Augenwinkeln und verscheuchte nebenbei den Mythos, stellvertretende Verbandschefs würden keine Tränen vergießen. »Die Sache ist folgendermaßen: Europa hat die Tore dichtgemacht, das weißt du, und auch bei uns hier steht die Tür nicht wirklich offen. Aber wir haben eine Lücke entdeckt: die Eheschließung. Eine Jüdin aus Polen oder aus Deutschland, die einen jungen Mann aus Palästina geheiratet hat, kann Europa problemlos verlassen. Ein Jude aus Palästina, der mit seiner Braut aus Europa zurückkehrt, kann ohne Weiteres in die Heimat einreisen. In den letzten Monaten haben wir junge Männer mobilisiert, die nach Europa fahren und dort eine Frau heiraten werden. Zurück im Land lassen sie sich von ihr scheiden – und Frieden über Israel: noch eine Einwanderin im Heiligen Land, noch ein junger Mann mit rosigem Gesicht vor lauter Dankesküssen. Wer weiß, vielleicht sogar mehr als das. Ich persönlich bin bereit zu wetten, dass mindestens zwei dieser Paare verheiratet bleiben werden. Die Schiffspassage ist dazu angetan, Herzen zusammenzuführen, das weißt du ja, und nicht alle bewältigen die Langeweile an Bord mit
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