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Eine Nacht, Markowitz

Eine Nacht, Markowitz

Titel: Eine Nacht, Markowitz
Autoren: Ayelet Gundar-Goshen
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Schachspielen. Also herzlichen Glückwunsch, Feinberg, du wirst bald heiraten.«
    Während der Irgun-Vizechef redete, startete die Verwirrung einen neuen Angriff auf Seev Feinbergs Schnauzer. Beim letzten Satz beschränkte sie sich nicht mehr auf die rechte Spitze, sondern befiel das ganze Monument, sträubte viele Dutzende von Haaren in alle möglichen Richtungen, bis Seev Feinberg aussah wie ein wild gewordener Besen.
    »Heiraten?« Jakob Markowitz hätte schwören können, ein Zittern aus Seev Feinbergs Stimme herauszuhören. »Gibt es denn keine andere Möglichkeit?«
    »Nur auf dem Papier, Feinberg, nur auf dem Papier. Obwohl ich an deiner Stelle auch woanders meine Unterschrift hinterlassen würde!« Seev Feinberg übersah das Augenzwinkern des Irgun-Vizechefs. Da hatte er endlich beschlossen, sich nur Sonia hinzugeben – nur einer, um Himmels willen! –, und schon schlüpfte der Satan in die Gestalt des Irgun-Vizechefs und setzte ihm einen Floh ins Ohr. Elf Tage würde die Überfahrt von Europa nach Palästina dauern. Kein Mann würde der Versuchung widerstehen. Und obwohl er wusste, dass die Vaginen der Europäerinnen so knochentrocken wie die sibirische Tundra waren, und selbst dann, wenn man sie mit Wasser füllte, noch so kalt wie die Fluten des Rheins wären, wusste er auch, dass er in dieses Eiswasser eintauchen und danach zitternd vor Kälte und Scham seiner Sonia gegenüberstehen würde. O Sonia, du Bernsteingöttin aus Palästina. Zwar war auch sie mal ein europäischer Eisberg gewesen, aber die mittelländische Sonne hatte ihr Mark erwärmt und ihrer Haut Orangenduft verliehen. (Der historischen Wahrheit halber sei gesagt, dass Sonias Haut keineswegs bernsteinfarben war und es ihr nie gelang, Sonnenbräune anzunehmen, da sie von Milchweiß direkt zu ungesundem Rot überwechselte – aber das fiel Seev Feinberg nicht auf.)
    »Such dir einen anderen Mann, Freuke, ich fahre nicht.« Der Irgun-Vizechef sah Seev Feinberg entgeistert an, und der redete hastig weiter, ehe er womöglich seine Meinung änderte. »Ein verlockendes Angebot machst du mir da, und auch ein rettendes, kein Zweifel. Aber ich bleibe lieber hier. Sicher hast du irgendein gut verstecktes Waffenlager, ein Kamel, in dessen Bauch man sich verbergen und Sprengstoff schmuggeln kann, ein Fellachendorf in den Jerusalemer Bergen, dessen Einwohner es zu verjagen und Ruinen, die es zu bewachen gilt. Ich übernehme eine dieser Aufgaben. Mandelbaum wird mich nicht finden.«
    »Wird er doch«, sagte Jakob Markowitz, die Augen gesenkt. Eines Nachts, als er nicht einschlafen konnte, sein Geld nicht für die Frau aus Haifa reichte und Jabotinskys Schriften seine Einsamkeit nicht vertrieben, hatte er einen Rundgang um die Moschawa gemacht. Auf dem Rückweg führten ihn seine Füße am Haus des Schächters vorbei. Durch die Gardine sah er Rachel Mandelbaum im Wohnzimmer umhergehen, ein Hemd flicken, ein besticktes Kissen aufschütteln, Tee trinken, den Blick ins Leere gerichtet. Rachel Mandelbaum ging in ihrem Haus herum, aber ihr Schatten tanzte im Hof. Wenn sie durchs Wohnzimmer lief, strich der Schatten über die Beete am Eingang. Wenn sie auf das Kissen klopfte, um den Staub zu vertreiben, schlug der Schatten an die Wände des Hauses. Wenn sie Tee trank, erstarrte der Schatten auf der Stelle und dehnte sich über den halben Weg. Nach einiger Zeit merkte Jakob Markowitz, dass er nicht allein war. Auf der steinernen Einfriedung des Grundstücks saß Abraham Mandelbaum, sah von draußen in sein Haus hinein, bewachte den Schatten seiner Frau. Als fürchtete der Schächter, der Schatten könnte tun, was seine Besitzerin nicht zu tun wagte: aufspringen und den ganzen Weg bis zum Haifaer Hafen rennen, um ein Schiff nach Europa zu besteigen. Jakob Markowitz erinnerte sich nun an das Gesicht des Schächters, während der Wind mit Rachels Schatten über die Blumenbeete tanzte, und er wusste, dass er sie beide finden würde. »Kein verschwiegenes Waffenversteck, kein Unterschlupf im Bauch eines Kamels, kein Aufstieg in die Jerusalemer Berge. Wir fahren nach Europa, gemeinsam. Und wegen der Frauen mach dir keine Sorgen: Ich werde dich vor dir selbst schützen.«

3
    V ier Tage später gingen sie an Bord. Das Meer war ruhig und der Sonnenuntergang banal. Jakob Markowitz war etwas enttäuscht. Er war ein sachlicher Mensch, kein sentimentaler Narr, hatte aber doch im Stillen gehofft, am ersten Tag der Reise würden die Naturgewalten eine bemerkenswertere
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