Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Nacht, Markowitz

Eine Nacht, Markowitz

Titel: Eine Nacht, Markowitz
Autoren: Ayelet Gundar-Goshen
Vom Netzwerk:
Eigenartiges: Je länger er Rachels runde Brüste aus der Versenkung hervorholte, desto mehr verwandelten sie sich vor seinen Augen in Sonias Brüste. Und obwohl Rachels Brüste schöner waren als Sonias – so rund und süß und fest – erfüllte ihn bei Sonias Brüsten eine Freude, die er nicht vertreiben wollte. So kam es, dass er dem Irgun-Vizechef Rachels Brüste beschrieb, während er im Geist Sonias vor sich sah, bis er plötzlich fürchtete, durcheinanderzugeraten und seinem Freund Sonias statt Rachels Brüste zu beschreiben, und das wollte er nicht.
    Seev Feinberg verstummte. Zum ersten Mal seit dem Tag, an dem er den Irgun-Vizechef an Bord des Schiffes kennengelernt hatte, hielt er etwas in Händen, das er nicht mit ihm teilen wollte. Jakob Markowitz schwieg ebenfalls. Er verfluchte sich immer noch wegen seiner Worte von eben. Trotz seiner stürmischen Erregung bemerkte er die Veränderung in Seev Feinbergs Rede: Bisher hatte er seine Eroberungen aufleben lassen wie einer, der wiederkäut, die Mahlzeit vom Vorabend noch einmal ein bisschen genießt. Aber als er jetzt weiterredete, lag echtes Verlangen in seinen Augen: Das war kein satter Mensch, der die Mahlzeit lobt, sondern ein hungriger, verrückt vor Sehnsucht. Das Leuchten, das sich auf Seev Feinbergs Gesicht ausbreitete, als er angeblich Rachel Mandelbaums Brüste schilderte, überstieg seine Freude beim tatsächlichen Zusammensein mit ihr. Wegen seines vorherigen Lapsus musste Jakob Markowitz allen Mut zusammennehmen, um den Mund erneut aufzumachen und zu sagen: »Du wirst noch zu Sonia heimkehren.« Seev Feinberg sah ihn verblüfft an. Dann lächelte er. War er im ersten Moment erschrocken, dass Jakob Markowitz seine geheimsten Gedanken klar erraten hatte, so verwandelte sich der Schreck gleich darauf in Erleichterung – sein Freund konnte die Geheimnisse seiner Seele lesen, die Hieroglyphenschrift, von der er längst nicht mehr zu hoffen gewagt hatte, dass jemand außer ihm sie je würde entziffern können.
    Im ersten Moment hielt der Irgun-Vizechef es für Bauchschmerzen. Dann erst begriff er, dass das scharfe Stechen im Bauch schlichtweg von Eifersucht herrührte. Denn da funkte etwas zwischen den beiden Männern vor ihm, etwas, an dem er selbst keinen Anteil hatte. Und obwohl dieser Jakob Markowitz nichts als ein armseliger Wurm war – Feinberg hatte das sicher erkannt, wie konnte es anders sein? –, so hatte dieser Wurm doch feine Seidenfäden gesponnen, seinen Freund damit umgarnt und ihn selbst außen vor gelassen.
    Obwohl an sich kein großer Freund von Schmerzen, und gewiss nicht von solchen in seinem Bauch, freute sich der Irgun-Vizechef über den Schmerz der Eifersucht, wie einer, der etwas Verlorenes wiederfindet. Schon seit Jahren hatte er diesen Schmerz nicht mehr gespürt. Zwar war er kraft seines Amtes bestens vertraut mit allen Schmerzen, die ein Mensch seinem Nächsten zufügen kann – ein Schlag ins Zwerchfell und eine Nasenbein zersplitternde Faust und ausgerissene Fingernägel und ein höchst unangenehmer Schnitt neben dem Glied –, aber die anderen Schmerzen hatte er nahezu vergessen. Die Schmerzen der Erfüllung. Nur wer von etwas anderem als sich selbst erfüllt ist, kann Schmerz bei dessen Verlust empfinden. Als er die Jeschiwa in Polen verlassen und sich in die große Stadt aufgemacht hatte, hatten die Schmerzen der Erfüllung ihn schier umgebracht. Er ging die Hauptstraße entlang, und alles war gottlos. Gereinigt von Gott. Besudelt von Weltlichkeit. Ein Brotlaib war nichts als ein Brotlaib. Das Glas Wein enthielt keinen einzigen Tropfen der göttlichen Gegenwart. Die Welt stand so vor ihm, wie sie war, aller Engel entkleidet, zitternd vor Kälte ohne die Verheißung der künftigen Welt, mit der sie sich hätte bedecken können. In der ersten Nacht in der großen Stadt hatte der Irgun-Vizechef sich mit ganzer Seele nach Gott gesehnt. In seinem Kopf dröhnten Pauken und Trommeln, wie bei den Feiern der Heiden. In seinem Herbergszimmer rasierte er sich im Dunkel der Nacht den Bart ab. Er sah nichts. Das Blut aus den Schnitten klebte an den Haaren, die büschelweise zu Boden fielen. Er hätte bis zum Morgen warten sollen, wusste jedoch, dass die Sehnsucht seine Füße dann zurückgelenkt hätte, geradewegs zum Morgengebet. Deshalb schor er sich weiter den Bart ab, und als er damit fertig war, nahm er sich mit zitternden Händen, den Händen Dalilas, den Schädel vor, und dann die Augenbrauen, und auch die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher